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LOU REED ist gestorben
LOU REED ist gestorben
in Bands, Musiker, Musikstile 28.10.2013 15:37von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
Lou Reed – der letzte Gang auf der wilden Seite ( 27.10.2013)
Raus aus dem Alltag, weg vom Gleichmaß, von dem, was alle machen und deshalb angeblich richtig ist. In diesem Fahrwasser fanden sich Pop, Beat und Rock schon sehr früh. Aus dem Gleichmaß des Pop auszubrechen, „auf der wilden Seite zu gehen“, das haben sich nur ganz wenige wirklich getraut. Er aber hat es getan, mit stampfend blechern scherbelnden Gitarren, mit ellenlangen Feedbacks und Geräuschen fast bis zum Exzess, um scheinbare Grenzen auszuloten und Gewohnheiten zu brechen. Er sang Worte und Texte, die nicht sein durften, weil nicht sein darf, von Gewalt, Underdogs, Sex und seinen wilden Spielarten zu singen. Weil Provokation als Überdosis und der schonungslose Blick auf die nackte Realität nur durch einen Schleier möglich sein durfte. LOU REED hat diesen nackten Blick dennoch gehabt, ihn als Provokation und aus blanker Neugier praktiziert und wurde so ungewollt zur Ikone.
Ehe er das wurde, gründete er mit seinem Freund JOHN CALE eine Band, die sich wenig später THE VELVET UNDERGROUND nannte. Nachdem ANDY WARHOL die Band für sich entdeckt und das Image durch Performance und ungewöhnliche Cover-Gestaltung für die LP „The Velvet Underground & Nico“ geformt hatte, war der Reiz des Außergewöhnlichen schnell wieder vorüber. Zu schnell nutzten sich die Muster ab und die Gefahr, aus der Avantgarde in den Durchschnitt abzugleiten, war zu groß. Der Musiker, der immer wieder nach neuen Möglichkeiten suchte und starre Grenzen austestete, hatte die Deutsche NICO in die Band geholt und stieg selbst aus, als die Musik glatt, gefälliger und kommerziell eingängiger wurde. Das war 1970, schon zwei Jahre zuvor war sein Kumpel JOHN CALE gegangen.
Im Jahre 1972 brachte LOU REED seine Solo-LP „Transformer“, mit dem Produzenten DAVID BOWIE, heraus und unter die Leute. Von dieser Zusammenarbeit eines störrischen Avantgardisten mit einem exzentrischen Glam-Rocker künden noch heute Song-Perlen, die für die Ewigkeit gemacht scheinen. Die spröde Schönheit eines „Satellite Of Love“ geht zwar neben der gebremsten urgewaltigen Wucht von „Walk On The Wild Side“ etwas unter, aber als Gesamtkunstwerk bleibt „Transformer“ bis heute unübertroffen und der düster-verquere und einfache Sound gilt vielen Musikern jüngerer Generationen als Innovationsquell und Anregung. Mit dem Album „Berlin“, ein Jahr später, konnte er sich sogar noch weitere Facetten erschließen und war mit all dem seiner Zeit und seinen Kollegen um Meilen voraus. Als die schnöde Einfachheit des Punk den Bombast der Gigantomanie zerkloppte, war das nur noch der Nachhall dessen, was LOU REED und VELVEDT UNDERGROUND vorher schon perfektioniert und gelangweilt wieder abgebrochen hatten.
Doch kommerziell erfolgreich konnte der Künstler damit nicht werden und das Abgleiten in Krisen, Drogen und gelebte Exzesse waren die Folge, wie bei vielen anderen genialen Musikern auch. Unter diesen Umständen musste er erleben, wie die Pop-Musik in der Gestalt und mit dem Habitus von Punk sich seiner Stilistik bediente und dann auch wieder nur vereinnahmt wurde. Kann sein, dass er das lustig fand oder gar Genugtuung spürte. Der streitbare Künstler fand wohl aber auch, dass Rockmusik der Gegenwart in zunehmendem Maße inhaltlich leer daher kam und sich selbst enge musikalische Grenzen auferlegt hatte. Er sah Rockmusik in Stagnation verharrt. Er selbst versuchte immer wieder, diesem Dogma durch Zusammenarbeit mit anderen Künstlern zu entfliehen, neue Möglichkeiten zu finden und die Grenzen zu sprengen. Ich ganz persönlich meine, dass er mit „Transformer“ die Quintessenz all dessen, was der Unruhegeist zu suchen meinte, bereits gefunden hatte, ohne es zu wissen. Deshalb steht die Scheibe mit dem „Walk On The Wild Side“ und dem „Satellite Of Love“ auch bei mir im Regal.
Natürlich ist LOU REED weit mehr, als diese wenigen Zeilen hergeben. Die wilden Zeiten von VELVET UNDERGROUND habe ich als Pennäler nachts am Radio mitbekommen. Das Verständnis für sein Wirken entwickelte sich bei mir erst später in den 1970ern und deshalb wird er wohl für mich immer derjenige bleiben, der als „Übersetzer“ und als „Transformator“ Zuständen, Befindlichkeiten und Begrenzungen etwas deutlicher aussprach, da zumindest ich sie sonst nicht mehr erkannt hätte. Er war, zumindest aus meiner bescheidenen Sicht, einer der wenigen, die uns allen gezeigt haben, dass wir gerne eine raue Schale haben möchten, um unsere Verletzlichkeit zu verbergen, statt sie mit Freunden und Gleichgesinnten zu teilen. Verkriechen und Vereinsamung sind keine Lösung.
Heute starb ein Freund von mir, der von dieser Freundschaft nichts wissen konnte. Er hat mich gelehrt, trotz eines scheinbar „Perfekten Tages“ und Lebens, weich und zugänglich zu bleiben und sich den ironischen Blick auf das Leben, wie in „Walk On The Wild Side“ zu erhalten. Schön ist nur, was wir als ursprünglich empfinden und nicht, was andere uns perfekt und in fremden Interessen unterjubeln wollen. In dieser spröden und kantigen Schönheit, die er auch im Gesicht trug, wird mir LOU REED in Erinnerung bleiben und sicher vielen anderen auch.
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