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JULE WERNER & BAND plus LIAISONG in Aschersleben
JULE WERNER & BAND plus LIAISONG in Aschersleben
in Konzertberichte 2019 und älter 15.07.2019 17:38von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
Jule Werner Band & Liaisong live (12.07.2019)
beim 1. Sommer-Soul Stadtfestival – Soul, Pop & Blues - in der Orangerie von Aschersleben
Vor vier Jahren, im April 2014, war ich schon einmal hier in Aschersleben. Damals spielten, nur wenige Meter entfernt im Bestehornhaus, East Blues Experience und im „Vorprogramm“ Jule Werner & Band. Neben dem Bühnenpodest, beinahe versteckt in einer Ecke, saß ein Mann: Andreas Hähle. Ich kannte Hähle, wie ihn Freunde nannten, nur vom Hörensagen. Beim Konzert sprachen wir miteinander, leider nur flüchtig. Ich erfuhr von Texten, die er für Jule Werner geschrieben hatte und gern noch schreiben würde. Diese Musik, meinte er, würde ihn inspirieren. Damals nahm ich mir vor, die Kapelle wieder zu besuchen. Es wurden vier Jahre, weil das Leben bei mir gleich zwei Mal einen Knick hinterlassen hat. Nun bin ich hier in der Orangerie, gegenüber dem Bestehornpark, doch Hähle werde ich heute nicht treffen können. Er verstarb, nach langer schwerer Krankheit, im April dieses Jahres mit nur 51 Jahren.
In der Orangerie Aschersleben fehlt seit einigen Tagen die Orange. Irgend so ein Typ mit dem Gehirn einer Walnuss hat sie angezündet. Genau an jener Stelle, wo diese Skulptur in orange leuchtete, steht heute ein Bäumchen noch im Topf. Es soll diesen Platz einnehmen und heute Abend möchte man Geld dafür sammeln. Auch eine Versteigerung soll es zu diesem Zweck geben. All das weiß ich nicht, als ich das verborgen wirkende Areal betrete und zu meiner Überraschung begrüßt werde. In den folgenden Minuten ergeben sich angenehme Gespräche, ich erfahre viel über das erste „Summer-Soul-Fest“, die Künstler und noch einiges mehr. Wieder empfinde ich dieses Gefühl von angekommen sein, das mich neuerdings immer öfter bei solchen Events überkommt.
Das Areal ist gut gefüllt, die Sitzplätze belegt, es ist 19.30 Uhr und alle, die etwas zu erzählen hatten, haben die Bühne verlassen. Von den Beiden, die jetzt als Duo LIAISONG die Bühne betreten, hatte ich schon viel gehört. Augenblicke später schwingen Gitarrensaiten und eine fesselnde Stimme singt von „Macht, Geld und Wahnsinn“. Da ist er dann doch wieder hier, dieser Hähle, denn dieser Text stammt aus seiner Feder. Nun lächelt er uns durch ihn schelmisch zu. Was für ein wundervoller Einstieg und weil es so schön ist, schicken LIAISONG mit „Alles muss klein beginnen“ von Gerhard Schöne fix noch einen Mutmacher hinterher. Die beiden Lieder genügen, um ins Staunen zu geraten. Wie exzellent und Ideenreich JÖRG NASSLER die Saiten zupft und DUNJA AVERDUNG die Melodien fließen lässt, macht mich staunend. Es gibt also doch noch innovatives Covern, wo fremde Lieder mit eigenen Ideen sogar noch aufgewertet von der Rampe klingen. Ich bin aus dem Stand begeistert und dann klappt mir die Kinnlade ab. Der Mann da vorn lässt aus den Saiten schnelle Tonfolgen spielerisch leicht wie kleine Perlen kullern und als die sich formen, entsteht eine reizvoll andere Version von „Auf der Wiese haben wir gelegen und wir haben Gras (geraucht)“. Mir hüpft das Herz und dann staune ich, dass auch diese wundervollen Lieder als „Summer Soul“ gehandelt werden. Es muss nur genügend Seele drin liegen, auch wenn beim nächsten Song (von Sting) eher spanischer Flamengo zu hören ist. Wohin wird uns dieser Abend noch führen?
Es geht fast genau so weiter, nur dass jetzt aus dem Duo ein Quartett wird, denn JULE WERNER und WOLFGANG MAYWALD kommen hinzu, um Lieder von Silly („Wo bist du“), Angelika Mann („Trink den Champagner“) und von Hansi Biebl („Es gibt Momente“) zu singen. Dazwischen schieben sie mit „Wild World“ einen Klassiker von Cat Stevens sowie eine deutsche Variante des „Dog Of The Bay“ von Otis Redding ein. Diese Bandbreite begeistert nicht nur mich, wie ich dem jubelnden Publikum entnehmen kann. Dennoch klingen diese Songs, im Original so unterschiedlich, heute Abend ungemein homogen, wie aus einer Feder. Die Begeisterung darüber ist vielen Besuchern direkt in die Gesichter gezeichnet.
Es folgt eine Pause, in der zwei Pflanzen zugunsten der Orangerie versteigert werden und einen guten Erlös erzielen. In der Ferne zieht ein angekündigtes Unwetter vorbei und der Mond blinzelt durch die Wolken. Ich werde von vier Damen in ein Gespräch verwickelt, die unbedingt ein gemeinsames Foto haben möchten. Der Duft von Bratwurst liegt in der Luft, aber ich beschließe, lieber mein Gewicht zu halten und Alkohol ist ohnehin tabu, schließlich wartet auf der Straße eine Muggenkarre auf mich. Ich fühle mich trotzdem wohl und bin froh, hierher gefahren zu sein.
Von vorn dringt das dezente Blues-Riff einer Gitarre zu mir. WOLFGANG MAYWALD „lockt“ damit seine Band auf die Bühne und dann beginnt der Blues vom „Fliegen“ seine Grooves in die Nacht zu tauchen. Es ist die rauchige Stimme von JULE WERNER, die jetzt dem Sound ihren Stempel aufdrückt und von der Frauen liebstes Hobby singt. „Kaufen (alles und noch mehr)“ ist (natürlich) ironisch gemeint, dafür ist die folgende Version vom „Blues in deutsch“, Original von Holger Biege“, todernst gemeint und so aktuell wie noch nie: „Kein Geld da für Schule und Bildung - die Herrn, die das Schiff fleißig schaukeln, grinsen dich an, drehn sich um.“ Genau so und auf diesem Level sollten die Lieder gestrickt sein, die mich berühren und mitnehmen. Es sind nicht nur Holger Biege oder Andreas Hähle, die uns fehlen, sondern auch deren Songs, die nicht mehr komponiert und die Texte, die nicht mehr geschrieben werden, die wie Lebenshilfe fungieren können. Dieses Vermissen tut zuweilen weh, angesichts dessen, was man uns gern, die wir nachdenklicher und filigraner im Denken sozialisiert wurden, als Musik oft unterzujubeln versucht.
Was bin ich froh, mit der Musik und der Power einer Janis Joplin im Ohr aufgewachsen zu sein, denke ich, als JULE & Band die ersten Takte von „Move Over“ anstimmen. Die gehen sofort ins Blut und in die Beine sowieso, denn nun tanzen auch ein paar Mutige vor der Bühne. Als die Musiker auch noch ihre eigene Version von „What Good Can Drinkin’ Do“, die Hymne aller Hochprozent-Trinker („gimme whiskey, gimme bourbon, give gimme gin“), abfackelt, Bass und Drums den Rhythmus stampfen und die Gitarre flockig und entspannt ein Solo darauf drückt, brennt die Luft im Rund. Warum sucht man in Deutschland eigentlich „Superstars“ und warum kommen immer seltener Songs mit Texten wie „Der Duft Deiner Frau“, auch wieder einer von Hähle, auf die Play-Lists der Sender? Ich hasse die Spielchen der Mächtigen, weil sie so plump und durchschaubar sind, wie das, was dabei herauskommt: Plump und durchsichtig, weil völlig ohne Inhalt!
Beim finalen Akt stehen alle Musiker, JULE WERNER & BAND plus Duo LIAISONG gemeinsam auf der Bühne und sorgen für ausgelassene Stimmung. Ich fühle mich in wilde Zeiten zurück versetzt, als von den Doors „Break On Through To The Other Side“ durch die Nacht donnert und die beiden Gitarristen WOLFGANG MAYWALD und JÖRG NASSLER im Doppelsolo ihre Saiten im Duell kreuzen. Da jubelt das Herz des Kenners, denn die wilden Grooves durchdringen den ganzen Körper und wann erlebt man so hautnah die „Zwillingsgitarren“ sich gegenseitig antreibend. Es folgt der legendäre „Road House Blues“ und den Abschluss dieser Doors-Triologie bildet schließlich eine urwüchsig-laszive Version von „Light My Fire“. Ich bin glücklich wie ein kleines Kind, das eine (Papier)Tüte Bonbons erhalten hat. Mein Puls pocht, hüpft und schreit nach mehr Adrenalin und bekommt es als klingende Zugabe via „Purple Haze“ in die Blutbahn. Das Leben kann so schön sein, mit guter Musik (und ganz ohne Handy)! Who the fuck is Bohlen?
Innerlich bin ich jetzt ziemlich aufgewühlt und müsste das eigentlich laut in die Nacht hinausschreien, so wie die Ladies vor der Bühne, die sich gerade noch kreischend zum Rhythmus bewegten. Schade, dass es diese bescheuerte Beherrschung, Etikette genannt, gibt. Doch ich trau’ mich nicht, bedanke mich bei den Musikern für den emotionalen Abend sowie für die vielen Überraschungsmomente, die mir dieser erste „Summer Soul“, der eigentlich ein geiler Liederabend war, gebracht hat. Sollte es eine zweite Auflage geben, werde ich wieder hier sein und dann sicher auch die neu gestaltete Orangerie bewundern, in der gerade ein zauberhaftes Lieder-Event sein Ende findet. Auf der Piste höre ich als Nachschlag in die CD „Traumland“ von Jule & Band hinein. Ein Blick in den Nachthimmel und ein Gruß an Hähle. Niemand wird jemals vergessen sein!
www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
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