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European Celtic Music Festival 2013 an der F60

in Konzertberichte 2019 und älter 16.06.2013 20:23
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

European Celtic Music Festival am Besucherbergwerk F60 ( 15.06.2013 )

Nahe dem kleinen Ort Lichterfeld öffnet sich ein riesiges Loch unter der Haut der Erde, das sich fast bis zum Horizont zieht. Viele Jahrzehnte lang wurde hier Kohle aus dem Bauch der Erde gebuddelt, die man von hier aus zu den Kokereien und Kraftwerken der Umgebung transportierte. Kohle war, von Trattendorf bis Plessa, der Hauptenergieträger und die Luft zwischen Lauchhammer und meinem heimatlichen Elsterwerda war, wenn der Wind günstig stand, spürbar vom Ruß und grauer Asche geschwängert. An Waschtagen sah man beides.
Das Loch gibt es noch immer, nur die schweren Abraumgeräte und Kohlebagger arbeiten hier nicht mehr. Die Gleise sind entfernt worden oder verwaist. Die Geschäftigkeit im Tagebau ist verschwunden und so langsam holt sich die Natur wieder, was ihr schon immer gehört und der Mensch hilft ihr dabei. Das ist gut, sogar vernünftig und als Symbol für diese neue Symbiose ist eine alte Förderbrücke, die F60, am Rand, wo jetzt langsam ein See entsteht, stehen geblieben. Der „liegende Eifelturm“ von Lichterfeld ragt wie ein weit sichtbares Signal aus der Landschaft, das hier Neues entsteht, ohne die Vergangenheit ganz und gar vergessen zu machen. Es ist still geworden, kein Metall mehr, dass bei jeder Reibung aneinander ein kalt kreischendes Geräusch erzeugt, wenn sich die Schaufeln wie gefräßige Zähne in den Boden wühlten. Das riesige Areal ist zu einem Besucherbergwerk umgestaltet, das einen Blick in jene Zeiten ermöglicht, die so anders, die meine Jugend- und viele Lebensjahre waren.

Mehrmals im Jahr aber weicht der beschauliche Blick zurück rund um den erhabenen Stahlriesen einer emsigen Betriebsamkeit. Dann zieht es eine Lawine von Fahrzeugen hierher und die Parkplätze quellen über. Eine große Bühne steht dann unter der alten Förderbrücke und dort sieht sie, trotz ihrer Dimensionen, noch immer klein wie Spielzeug aus, so wie die Stände und Verkaufsstände auch. Es ist wieder einmal Zeit für Musik ganz besonderer Art. Zum siebten Male startet das EUROPEAN CELTIC MUSIC FESTIVAL am Besucherbergwerk F60 bei Lichterfeld und zwei Ausnahmebands von den grünen Inseln haben sich angekündigt. BEOGA aus Irland und MÀNRAN aus Schottland. Letztere gibt hier an der F60 ihr Debut auf deutschem Boden. Also, nichts wie hin.

Während sich das Festivalgelände unter der gigantischen Stahlkonstruktion langsam füllt, unterhält ein fröhlich quasselnder Typ aus Holland die eintreffenden Gäste. HENK „Trubadur“ HULZINGA ist so etwas wie eine singende Spaßkanone, der mit seiner Mixtur aus schottischen Kneipenliedern, zur Gitarre gesungen, und deftiger Konversation mit der Masse schon deshalb ein Glückgriff ist, weil er die anderen Ortes übliche Beschallung durch einen lautstark agierenden „Disc-Jockey“ überflüssig macht. Man kann dunkles Bier trinken, wahlweise Bratwurst, Steak oder Goulasch speisen und sich dennoch gut unterhalten (und lassen). „Dankeschöööön“, Henk und „Wow“!

Es ist beinahe noch taghell und aus den Boxen klingen jetzt die typischen schottischen Jigs & Reels. Auf dem Podest vor der Bühne wird es lebendig. EIRIN CIRCLE, eine engagierte Tanzgruppe aus dem nahen Cottbus, stimmt die vielen Menschen im weiten Rund mit ihren Tänzen zu irisch-schottischen Rhythmen auf die kommenden Stunden ein. Flinke Drehungen, tanzen in Formation, Kreis und Reihe sowie diese erstaunlichen Sprungkombinationen erzeugen schnell Stimmung auf den Bänken. Kaum zu glauben, dass die Damen und Herren das alles „nur“ aus Freude am Tanz und Bewegung machen. Auch die IRISH BEATS DANCE COMPANY aus Berlin mit einer furios agierenden Solistin aus dem Ensemble des Friedrichstadtpalastes, heizt die Stimmung unter dem Stahlgerüst weiter auf und der „Trubadur“ aus Holland lockert zwischendurch auf, um den Tänzern eine kurze Verschnaufpause zu verschaffen. Es ist angenehme Unterhaltung und optisch gelungenes Einstimmen gleichermaßen. Alles passt zueinander, ist harmonisch abgestimmt und Kunstpausen, die mich schon so oft genervt haben, kann ich auch nicht erkennen. Alles ist perfekt und unaufdringlich professionell organisiert. Großes Kompliment!

Inzwischen legt sich die Abenddämmerung über das weitläufige Gelände, das inzwischen gut gefüllt, aber nicht rappelvoll ist. Der „Trubadur“ lässt uns noch einen Moment zappeln und dann, noch einmal steigt die Anspannung, dann betreten fünf Musiker aus Irland die Bühne. BEOGA sind schon zum zweiten Mal an der F60 zu Gast, man kennt sich und erkennt sich wieder. Vor allem die Stammgäste, an den reservierten Tischen für Line-Dance-Clubs zu erkennen, begrüßen die Band mit euphorischem Jubel. Der musikalische Teil der Party kann beginnen.

BEOGA ist gälisch und meint so viel wie lebendig und genau das ist vom ersten Moment an zu spüren. Auf der grünen Insel sind BEOGA schon längst kein Geheimtipp mehr und die quirlige Sängerin NIAMH DUNNE, die gleichzeitig mit der Fiddle agiert, überrascht mit einer markanten hellen Stimmen. Das Markenzeichen der Band sind zwei Knopf-Akkordeons, die bei Songs wie „Hey Days“ oder „Woman Of No Place“, ein Lied über wandernde Zigeuner, abwechslungsreich mit dem Spiel der Geige kombiniert werden. Dabei entsteht ein ganz eigener und unverwechselbarer Sound, der mit Folk, so wie ihn sich die meisten in Verbindung mit Irland vorstellen, wirklich nur unzureichend definiert wäre. Mal klingen die Melodien, wie bei „Hey Days“ eher balladesk, um dann wieder frisch, getragen vom Groove der Bodhràn, einer irischen Rahmentrommel, mit fröhlichen Jigs & Reels und deren Breaks instrumental zu verzaubern. Dieses Instrument beherrscht EAMON MURRAY nahezu perfekt und ich habe mir sagen lassen, dass er in seiner irischen Heimat damit schon viele Wettbewerbe gewinnen konnte.

Mit dem „Factory Girl“, das sie einen amerikanischen Folksong nennen, begeistern sie mich auf ganzer Linie, das ebenso wie „Trolleyed“, mit vielen überraschenden Wendungen, erzeugt vom Wechselspiel der Gitarre mit den beiden „button accordeons“, direkt unter die Haut geht. Immer wieder brechen sie das Rhythmusgeflecht auf, die typischen Juchzer sind zu hören, und dann setzt sich das Spiel mit neuen Nuancen fort. Dann kann man plötzlich Einflüsse vom Swing entdecken. BEOGA beenden ihren Auftritt mit dem Instrumental „Soddy’s Rover“, in dessen Schlusspart der Mann mit der Bodhràn ganz allein im Licht der Spots das Fell seiner Trommel bearbeitet. Der fabriziert die Rhythmen und Grooves derart schnell und abwechslungsreich auf dem kleinen runden Ding, dass es einem einfach nur die Sprache verschlägt. Man muss das mal erlebt, gesehen und gehört haben, um es glauben zu können.

Während des Konzerts von BEOGA kann man am Rand des Areals Besucher einzeln oder in kleinen Gruppen tanzen sehen und manche von ihnen beherrschen diesen Tanzstil schon verdammt gut. Nur ein einzelner Herr, der seine Kreise, Figuren und Striche beinahe mit „stamping feets“ und kurzen Sporthöschen auf das Podest stampfte, fiel ein wenig aus dem gewöhnten Rahmen, als er einsam und allein vor der Band seine Figuren zelebrierte. Aber was bedeuten schon irgendwelche Regeln, wenn jemand es versteht, seiner Lebensfreude Ausdruck zu verleihen. So betrachtet, habe ich ihn dann doch wieder bewundert, wie er einfach nur in seinem eigenen Tanz versunken blieb. Nur als dann die Damen und Herren von EIRIN CIRCLE und der EIRISH DANCE COMPANY sich das Podest zum Tanz eroberten, blieb kaum noch Platz für ihn, sich zu entfalten.

Inzwischen ist es dunkel und Stahlriese von der Nacht verschluckt, nicht mehr zu sehen. Nur einige wenige „Positionslichter“ hoch über der Bühne verraten sein Vorhandensein. Dieser Abend ist ein wenig wie Magie geworden, voll mystisch fremd schöner Klänge, umrahmt von Licht und Farben, die man so ansonsten nicht bewundern kann. In diese Atmosphäre hinein treten zu später Stunde MÀNRAN in die Lichtkegel der Spots. Zwei Dudelsäcke, Akkordeon, Gitarre, Bass und Drums, jetzt spielt das etwas andere Line-Up. Vom ersten Moment an klingt es anders, es groovt in die Nacht hinein und über allem strahlt eine Stimme, die ich von nun an sicher unter hunderten heraushören würde. Man stelle sich die Tremolos eines Roger Chapman in gälisch und aus einem Folk-Idiom heraus gesungen vor. Das ist schon überraschend und faszinierend zugleich, was dieser NORRIE MACLVER gesanglich zu bieten hat. Der fesselt mich vom ersten Ton an, auch wenn Gälisch, wie aus einem anderen Universum, so schön und bezaubernd in den Ohren klingt.

Schon der erste Song des Abends, der einfach nur „MSR“ heißt und vom aktuellen Album „The Test“ stammt - keine Ahnung, was das bedeuten könnte - überrascht mit einer Mixtur aus faszinierenden Tunes und den fremd klingenden Worten aus dem Gälischen. Das nachfolgende, ebenso fremd und balladesk schmeichelnde „Tamhasg“, empfinde ich einfach nur als schön. Plötzlich schleichen sich Tango-Rhythmen ein und das Teil beginnt zu grooven, dass es ein wahres Vergnügen ist. Als dann der Mann mit seinem Akkordeon, GARY INNES, freundlich aber bestimmt darum bittet, „a little bit closer“ zu kommen, werden die Wälle deutscher Gemütlichkeit an den Tischen Stück für Stück aufgebrochen und zwischen Bühne und den ersten Bänken schafft sich ein munteres Tanzen Raum. Jetzt fließen endlich alle Komponenten der CELTIC FOLK NIGHT ineinander, denn Musik, Bewegung und die Kulisse vermischen sich zu einem klingenden und optischen Gesamtereignis. Als dann der Frontmann von MÀNRAM auch noch dieses hinreißende „Naraiche Nam Aigh“ mit einem Rausch von Chorus intoniert, könnte ich mich in diesen siedenden Klangbrei hinein legen. Was sind das für wunderschöne Melodien, die da aus Schottland nach Europa gebracht werden, denn immerhin ist dies der allererste Auftritt der Band auf einer deutschen Bühne. Klasse Andrè Speri, was für ein Glückgriff!

Zu später Stunde stimmen MÀNRAM den Song „Tillidh Mi“ von Runrig an und damit ist die Brücke von den gestandenen Rockern zu den aufsteigenden Newcomern geschlagen. Das Stück, wirkungsvoll mit zwei Dudelsäcken gespielt, verrät eine Menge über Herkunft und Orientierung der Musiker und fast wie zur Bestätigung gibt es wieder einen Break und wie bei vielen schottischen Weisen, wird das Tempo noch einmal einen Zacken schärfer und die Stimmung ausgelassener. Die Musiker spielen einen Auswahl aus ihrem Debut-Album sowie dem aktuellen „The Test“, vom englisch gesungenen „Fishing Boat“, über „Schottische“ bis hin zu „Oran Na Cloiche“ wieder in gälisch. Die Songs stecken voller überraschender Wendungen, wunderschöner Melodien und treibenden Grooves. Am Schluss dann noch „The Open Door“ und dann meinen die Herren von MÀNRAN ihre Instrumente beiseite legen zu können. Mit Hilfe des „Trubadurs“ ringen wir ihnen noch zwei weitere Songs als Zugabe ab, docch dann ist auch das 7. EUROPEAN CELTIC MUSIC FESTIVAL unter der alten F60 zu Ende. Leider.

Zwei Abende keltisch, schottisch und irischer Musik an der F60 bei Lichterfeld mitten im Juni. Einen davon habe ich mir gönnen und die Klänge von BEOGA und MÀRAN genießen dürfen. Das Besondere der Musik von den irischen und schottischen Inseln ist vielleicht einst auch dadurch entstanden, dass sich dort die musikalische Folklore völlig unberührt vom den restlichen Teilen Europa, frei von äußeren Einflüssen, entwickeln konnte. Man strahlte zwar nach außen, ließ aber kaum fremde Inspiration zu. Dabei entstand das, was wir heute unter Folk oder Cetic Music eintüten. Inzwischen aber hat sich das Blatt vollständig gewendet und vor allem jüngere Künstler und Bands von den Inseln öffnen sich und holen sich oft ihre Anregungen aus völlig unterschiedlichen Kulturkreisen dieser Welt und plötzlich tanzen Celtic Tunes, orientalische Grooves und amerikanischer Swing gemeinsam auf einer Bühne. Es wird gegroovt und improvisiert, dass die Seele der Musik vor Freude in die Hände klatscht und genau das war an diesem Abend in Händen und Füßen deutlich zu spüren.
DANKE dem Team um Andrè Speri und all den anderen fleißigen Helfern für dieses Erlebnis der Extraklasse. Danke auch dem Wettergott, der manche dicke Regenwolke einfach zur Seite schob. Im kommenden Jahr 2014 wird es wieder einen Juni geben und, da bin ich mir sicher, eine geballte Ladung Celtic Sound mit dunklem Bier und goldenem Whisky. Ich melde mich für die kommende und dann 8. Ausgabe des EUROPEAN CELTIC MUSIC FESTIVALS schon mal an.

Für mehr Fotos seht bitte hier:
http://www.mein-lebensgefuehl-rockmusik....Festival%202013

Angefügte Bilder:
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zuletzt bearbeitet 16.06.2013 20:25 | nach oben springen


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