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FARFARELLO am 16.04.2016 in Castrop-Rauxel

in Konzertberichte 2019 und älter 20.04.2016 05:14
von Kundi | 3.250 Beiträge | 7335 Punkte

Ein Gastbericht erreichte uns wieder von unserem Freund Christian.
Ganz herzlichen Dank dafür!


Es ist grau ... es regnet ... das ideale Wetter für ein Konzert im Trockenen und die ideale Gelegenheit für die Gruppe farfarello, die Sonne im Konzertsaal des Castrop-Rauxeler "Haus Oestreich" aufgehen zu lassen. Und das taten Mani Neumann (Geige, Flöten, Keyboard), Ulli Brand (Gitarren) und Johanna Stein (Cello) am gestrigen Abend auch in mehrfacher Hinsicht.
"ZeitZone" heißt das aktuelle Album, das derzeit sowohl in der großen, als auch in der "solo zu 2't plus Cello"-Besetzung live präsentiert wird. Allerlei Kisten und Koffer wurden ins "Hinterzimmer" des Haus OE getragen und ausgepackt. Ruck zuck stand das Equipment aufgebaut auf der Bühne und es blieb noch ausreichend Zeit, sich auf den Abend entspannt vorzubereiten, denn bis zum Einlass war noch etwas Zeit. Genug Zeit, um sich vor allen Dingen über das neue Gesicht bei farfarello zu informieren. Johanna Stein aus Köln, die Cellistin, die in dieser kleineren Besetzung als Alternative zum etatmäßigen Bassisten den Liedern der Band mit ihrem Instrument und ihrem Spiel ordentlich Tiefe und eine andere Farbnote verleiht. Johanna ist nicht - wie man vielleicht denken mag - irgendein "Gast" auf der farfarello-Bühne. Sie ist viel mehr als nur ein Gast. Während sie bei Gesprächen am Nachmittag schon mit ihrem Alter überraschte, tat sie dies kurz vor dem Konzert mit Erzählungen aus ihrem Lebenslauf. Sie ist Vollblut-Musikerin und absoluter Profi. Sie lebt für die Musik und lebt sie mit jedem Atemzug. Und das ist keine Übertreibung! Beispiel gefällig? Um die Faszination und die Seele einer bestimmten Musikart zu begreifen und in sich aufzusaugen, reist die junge Frau auch schon mal an die Quelle. Eine CD oder ein Bericht im Fernsehen über die Musik eines bestimmten Volksstamms reichen ihr da nicht. Also besucht sie das Land des Ursprungs und verschwindet dann für eine "Dienstreise" auch gern mal für einen Monat in den Weiten der Mongolei. Dort zog sie vor ein paar Jahren mit dem Pferd allein von einem Nomaden-Stamm zum nächsten. Respekt! Sie ist bisher schon weit rumgekommen und ein Ende dieser Erkundungsreisen scheint - zumindest was ihre bisherigen Pläne betrifft - noch nicht in Sicht. farfarello ist nur eine ihrer mit Hingabe übernommenen Aufgaben. Abseits ihres Einsatzes bei Mani und Ulli hat sie auch eigene Projekte. Ganz frisch ist dabei noch die Gruppe TANGO DE MINAS, über die wir Euch an dieser Stelle demnächst noch ausführlich berichten werden. Die studierte Cellistin ist außerdem eine gefragte Studio- und Live-Musikerin, die schon mit verschiedenen Musikgrößen auf der Bühne stand und an diversen Plattenproduktionen beteiligt war. Egal über was sie aus ihrer Biographie erzählt, sie tut dies mit einer spürbaren Liebe zu ihrem Beruf, der eher eine Berufung ist.

Um 19:30 Uhr öffneten sich die Türen. Die ersten Konzertgäste enterten den Saal. Während sich das Mainstream-Publikum sicher von Florian Silbereisen und seiner lustig-schrägen Schlagershow oder Dieter Bohlen und seinem Marionetten-Zirkus via TV-Gerät seicht berieseln lässt, gibt es immer noch Leute, für die das keine Option und schon gar keine Kultur ist. Sie suchen die richtige Kultur und den Anspruch, und finden dies u.a. bei uns und dem Konzert mit farfarello. Auch bei so einem Mistwetter wie dem vor der Tür lassen sie sich nicht abhalten, und das ist gut so. Bei Gesprächen und ersten Getränken verging die Zeit bis zum Konzert recht fix. Der Saal - und auch die Band - hätten gut und gerne noch ein paar Besucher vertragen, aber immerhin war der Platz vor der Bühne gut gefüllt. Und die Stimmung war auch schon da, obwohl noch kein Ton gespielt wurde.

Ich erwähnte es eingangs bereits, dass farfarello gleich mehrere Sonnen ins Haus OE brachten. Die eine hing direkt über der Bühne und wurde von Mani höchst selbst dort beim Aufbau angebracht. Ein alter Scheinwerfer, der die Band zwar super in Szene setzte, der aber so viel Energie auf die Bühne abgab, dass Mani sein Sakko nicht lang anbehalten konnte. Die zweite Sonne war die hell leuchtende (nicht nur musikalisch, denn sie saß zudem voll im Kegel des eben erwähnten Scheinwerfers) Johanna Stein mit ihrem Cello. Sie hatte mich bereits beim Soundcheck schon verhaftet und an ihrem Spiel auf den Saiten angebunden. Und die dritte Sonne war das Programm selbst, auf das ich an dieser Stelle natürlich noch näher eingehen werde. Mit einem "Weckruf" begann gegen 20:30 Uhr das Konzert, obwohl es diesen gar nicht brauchte, um die volle Aufmerksamkeit der Leute zu bekommen. Nicht mit der Geige, sondern mit einer Block- und einer Altflöte (gleichzeitig!), startete Mani Neumann ins Programm. Dem Opener folgte das Stück "Feuer und Flamme" und wie es der Name des Liedes schon verrät, wurde es richtig heiß. So heiß, dass Mani bereits an dieser frühen Stelle des Konzerts eine Saite riss. Ulli hatte nun die Aufgabe, mit seiner Gitarre die "Reparaturphase" zu überbrücken. Während sein Kollege das Arbeitsgerät wieder in Ordnung brachte, spielte der Gitarrist einen entspannten Solo-Part, in den die Geige nach kurzer Zeit wieder einsteigen konnte. Bereits hier konnte man das perfekte Zusammenspiel der drei Musiker erkennen. Bei Ulli Brand und Mani Neumann ist das nicht groß verwunderlich, denn sie stehen bereits seit fast 35 Jahren als farfarello gemeinsam auf der Bühne. Sie kennen sich aus dem eff-eff und so ist das Reißen einer Saite oder eine andere Panne überhaupt kein Problem für die beiden Urgesteine. Das wird im wahrsten Sinne des Wortes überspielt. Wesentlich überraschender ist das schon bei Johanna Stein, die ja noch nicht allzu lange mit den beiden zusammen muggt. Spielend werfen sich Johanna und Mani die Bälle zu und scheinen sich ebenfalls blind zu verstehen. Dies ist vor allen Dingen Johannas Einfühlungsvermögen und höchste Professionalität zu verdanken, dass sie für farfarello einfach ein Glücksfall und eine echte Bereicherung ist. Schaut man ihr während des Konzerts zu, merkt man immer wieder, wie sie in ihrem Spiel versinkt, in die Lieder förmlich eintaucht und sie mit viel Wärme und körperlichem Einsatz zum Leben erweckt. Da passt alles, und die drei Protagonisten spielen wie ein Uhrwerk in voller Harmonie und Perfektion zusammen. Und nichts bringt dieses Kraftwerk aus Gitarre, Geige und Cello aus der Ruhe, noch nicht einmal ein außerplanmäßig eingeschobenes und nicht auf der Setlist befindliches Stück ("Potsdamer Platz"). Aber nicht jedes der gespielten Lieder wurde in der Dreier-Besetzung mit Cello präsentiert. Bei dem einen oder anderen Stück hatte Johanna dann auch mal Pause und verließ die Bühne.

Das dann folgende Lied wurde nur von den beiden Herren, also als "Solo zu 2't", vorgetragen (z.B. "Mephisto" oder "Wüstenschiff").
Der samstägliche Auftritt war in drei Teile zerlegt, die mit Liedern der neuen CD "ZeitZone" und diversen Klassikern bestückt waren. Ein Stück wie der "Säbeltanz" ist natürlich auch in musik-historischer Sicht ein Klassiker. Er stammt aus dem 1942 uraufgeführten Ballett "Gayaneh" des sowjetischen Komponisten Aram Chatschaturjan und war u.a. auch schon für die Rockgruppe PUHDYS Vorlage für eine eigene Version. Das Stück "Felix" hat ebenfalls einen klassischen Hintergrund, ist es doch eine Hommage an Felix Mendelssohn Bartholdy. Im Vordergrund standen aber die neueren Lieder vom Album "ZeitZone" über die Mani erzählte, dass sie über einen längeren Zeitraum zum größten Teil in den Abendstunden in der freien Natur an einem See entstanden sind. Dort habe man die besten Einfälle für Melodien und Songs gehabt. Dies hätte aber auch zur Folge gehabt, dass man mit der Namenswahl der Stücke ein Problem hatte, denn man konnte ja schlecht jedes der Lieder "Abendmusik" nennen. Eines dieser Stücke ist "Serenade", das dann auch zum Vortrag gebracht wurde und zu dem Ulli noch anmerkte, dass "Serenade" ins Deutsche übersetzt ja eigentlich nichts anderes heißt als "Abendmusik". Weitere "Abendmusiken" sollten noch folgen, wie Mani ankündigte, und so kamen im Verlauf des Programms auch noch "Am See" und "Dämmerung" aus dem gleichen Entstehungsprozess dazu.

Das Castrop-Rauxeler Publikum erlebte eine spielfreudige und gut aufgelegte Band, die über drei Sets und über 2 1/2 Stunden erstklassige Arbeit ablieferte. Bei den Moderationen zwischen den Liedern zeigte sich Mani Neumann zudem als ausgesprochen guter Entertainer, der sein Publikum auch immer wieder mit einbezog. Dies fiel mir bereits ein Jahr zuvor beim Konzert in Dortmund auf. Nach dieser Mugge war ich schon begeistert von dem, was ich dort erleben durfte, aber die Band setzte in Castrop noch eins oben drauf. Die Live-Präsentation von "ZeitZone" ist ein kurzweiliges und viel zu schnell vergehendes Erlebnis der besonderen Art. Es ist gespickt mit tollen Songs und Überraschungen. An dieser Stelle von irgendwelchen Highlights oder besonderen Momenten zu sprechen wäre ungerecht, denn jeder einzelne Moment war ein Besonderer. Ich persönlich hatte eine Menge Spaß mit den Soli der einzelnen Musiker. Man war über die volle Distanz des Konzerts schon vom Klang des Cellos und von Johannas Spiel darauf begeistert, aber als sie selbst mit ihrem Instrument im Vordergrund stand und fast improvisierend die Saiten zum Glühen brachte, war das schon ein faszinierender Augenblick. Ebenso das Solo von Ulli gegen Ende des Konzerts, als er minutenlang die irrsten Töne und Läufe aus seinen sechs Saiten zauberte. Unsereiner wäre nach drei Minuten eines solch kräftezehrenden Vortrags einem Schwächeanfall erlegen, aber der Saitenhexer von farfarello brachte das Publikum mit einer schweißtreibenden Klang-Kaskade zum Staunen und Jubeln. Sein Kollege Mani genoss dieses Solo übrigens zusammen mit dem OE-Wirt Alfred "Corny" Hilpert mit einem Bierchen von der Bar im Zuschauerraum aus. Ein weiterer Beleg dafür, wie entspannt es bei der Band zugeht. Der Geiger selbst nutzte während des Konzerts die volle Tiefe des Raums. Die Bühne allein reichte ihm nicht. Immer wieder sprang Neumann von der Bühne in den Zuschauerraum und nahm direkten Kontakt zum Publikum auf. Den weitesten Ausflug unternahm er im zweiten Teil des Konzerts, als er einmal mehr von der Bühne hopste, spielend den Saal verließ, nach vorn in die Kneipe zur Bar ging, um sich dort ein erfrischendes Getränk zu holen. Anschließend kehrte er zurück, setzte mit seinem Instrument wieder ein und begab sich zurück auf die Bühne. Ist durchaus nicht unüblich, dass man während der Arbeitszeit in die Kantine geht, um sich zu stärken. Warum also nicht auch bei einer Mugge?

Diese Band und dieses Programm hätten gestern mehr Publikum verdient gehabt. Die, die gekommen waren, bekamen für das Eintrittsgeld aber den vollen Service und noch einiges mehr. Fast 2 1/2 Stunden Live-Musik, nur unterbrochen durch zwei kleine Raucherpausen: emotional, mitreißend, verträumt und voller Leidenschaft. Nach zwei Zugaben, die sich das begeisterte Publikum durch minutenlangem rhythmischen Klatschen und einer Superstimmung vorweg mehr als verdient hatte, beendete das Trio seinen Einsatz in Castrop-Rauxel. Am Fanartikelstand gab es noch Autogramme, Gespräche und das eine oder andere Foto. Danach wurde das Equipment genauso schnell wieder abgebaut, wie es am späten Nachmittag aufgebaut wurde. Um kurz nach 0:00 Uhr begab sich die Band auf die Rückreise ins Rheinland mit dem Versprechen, im nächsten Jahr wiederzukommen. Wir freuen uns schon jetzt darauf. Danke farfarello!

Setlist vom 16.4.2016:

1. Weckruf
2. Feuer und Flamme
3. Felix
4. Klassikulus
5. Karpaten

---- Pause ----

6. ZeitZone
7. Mephisto
8. Serenade
9. Wüstenschiff
10. Potsdamer Platz
11. Herr der Zeit

---- Pause ----

12. Am See
13. Brandung
14. Säbeltanz
15. D-Zug
16. Dämmerung

Zugaben:

17. Rhapsodie
18. Kämpferherz

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zuletzt bearbeitet 20.04.2016 05:17 | nach oben springen

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RE: FARFARELLO am 16.04.2016 in Castrop-Rauxel

in Konzertberichte 2019 und älter 24.04.2016 16:28
von PMausM | 1.820 Beiträge | 3861 Punkte

Die Geiger haben es mir allgemein angetan. Farfarello habe ich schon mal gesehen und finde ihn klasse. Leider ist er selten im Osten. Danke für den Konzertbericht.

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