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JÖRG KO KOKOTT begeistert in Halberstadt
JÖRG KO KOKOTT begeistert in Halberstadt
in Konzertberichte 2019 und älter 18.01.2016 18:41von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
KO Kokott – Krieger (jetzt) über 60 (17.01.2016)
In der Natur und auf den Straßen ist der Winter, sicht- und spürbar sowie einem wiederkehrenden Rhythmus folgend, angekommen. Er hat die Berge, die Wiesen, die Felder und auch die Straßen fest im Griff. Vor allem die in der Stadt. Wo eben noch zwei Mal in der Woche die Kehrmaschine über den blanken Asphalt torkelte, verweigert der Schneepflug den Dienst. Zum Glück ist der Winter noch nicht in Hochform und die Schneeberge am Straßenrand noch lange nicht erwachsen.
Der Krieger, nun schon über sechzig, aber schon. Der wird im Herbst des Lebens immer besser, weil er noch immer gut im Saft steht und diesen Zustand noch lange vor sich herzuschieben vermag. Sein Winter wird wohl noch lange warten müssen. Diesen Eindruck konnte mit nach Hause nehmen, der den sonntäglichen Abend des 17. Januar im Bibliothekskeller von Halberstadt verbrachte. Die beiden Gitarren, das Mandoloncello sowie der dreieckige Tisch plus Sitzmöbel, einst Ziermöbel im Gleimhaus, waren bereits aufgebaut, um den anwesenden Einwohnern, einem Neu-Halberstädter sowie den aus Dresden (!) angereisten Gästen sein nunmehr 75. (!) Programm zu präsentieren. Dass es an diesem Abend außerdem zwei anwesende Geburtstagskinder gab, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Es hätte quasi ein feierlicher Abend werden können. Ein unterhaltsamer, fröhlicher, nachdenklicher, und zuweilen auch stürmischer, ist es dann aber geworden.
Der wahrscheinliche Deutschlandmeister im Wohnortwechseln, allein das macht ihn mir sympathisch, war diesmal aus dem Sächsischen Hainichen angereist, um ein kleines „Sammelsurium“ an Lieder zu präsentieren, obgleich der Abend mit einem kurzen Instrumentalstück beginnt. Zuweilen verdecken Sangeskünstler ihre instrumentalen Fähigkeiten gekonnt mit Liedern und Wortbeiträgen. Genau aus diesem Grund ist es dramaturgisch geschickt gemacht, unsere Aufmerksamkeit auf sein Saitenspiel zu Beginn zu lenken. Was der mit seinen nicht gerade normgerechten Fingern zupft, lässt mich, wieder einmal, staunen. Meine Begeisterung steigert sich, als er wenig später von den „Sieben Grappasorten“ singt, denn auch da trifft er den Feinschmecker in mir mitten auf Gaumen und Zunge.
Indes, durch den Abend hindurch führt für meinen Geschmack ein ganz anderer roter Faden. Ob nun gewollt oder nicht, löst KO KOKOTT bei mir, und ganz offensichtlich bei vielen anderen auch, eine Art Erwartungshaltung aus, als er aus einem Büchlein von Matthias Koeppel „Starkdeutsch“ das Gedicht vom „Januar (im Januar)“ in eben dieser dadaistischen Kunstsprache Starkdeutsch zum Besten gibt. Ich hab’ mich jedenfalls bei seinem Vortrag bald weggeschmissen und fortan auf die Gedichte vom Februar („nuur dörr Zapfn ön dörr Huhs, wörrd necht suu haart wie’s Eius“), März, April bis Dezember gewartet, die KO als seine kleine „Orrswuuhl“ über den ganzen Abend verteilt.
Der Kontrast zu den Liedern, der Wechsel von derb deutsch hin zu zart lyrisch, sorgt allerdings auch dafür, dass man deren Feinheiten erkennen und zu genießen vermag. Sein Lied “Wie schön, dass es damals“ leitet er mit dem Zitat von Gershwin’s „Summertime“ ein und macht so einen waschechten Blues daraus. Für Eva Strittmatter’s Zeilen vom „Mohn“ funktioniert er das kleine Auditorium zu einer Rhythmusgruppe um und weist dann so ganz nebenbei darauf hin, dass es ihm endlich gelungen sei, zur neunen CD auch ein druckfrisches Liederbuch mit allen Texten anbieten zu können. Am Ende des Abends weiß ich, dass ich beide, CD und das Büchlein, der Öffentlichkeit wärmstens empfehlen kann. Auch für „Im wunderschönen Monat 2“ versucht er uns dezent einzubinden, nachdem er mit Fabeln von Krylow und Grumbach zum genauen Hinsehen und –Hören aufgefordert hatte. Der kritische Blick auf alles, was uns überall umgibt, uns zu verführen und zu verblenden sucht, ist etwas, was ich schon immer an ihm (und seinen ex-Mitstreitern von Wacholder) mochte. So ist er eben, „Der Krieger über 50“, jetzt über der 60.
Und weil er so ist, erfüllt er spontan einen Wunsch nach „S. was passiert“, ein Lied, das er für Scarlett O’ (Seeboldt) schrieb. KO singt vom „Salon Chanson“ und auch „Unter Kiefern“, ehe er uns wieder als Rhythmusgruppe für „Die Hüften der Fische“ benötigt. Was dieses Liedchen mit den allgegenwärtigen Koch-Shows im Fernsehen zu tun hat und was man dabei beim Gebrauch von weißen und roten Wein beachten sollte, auch das kann man (fingerschnipsend) bei einem seiner Konzerte erleben oder durch den Kauf der entsprechenden CD erfahren. Es fasziniert mich auch immer wieder neu, wie Künstler nach inzwischen 25 Jahren Beitritt zum Grundgesetz der BRD, auch mit diesem Thema umgehen. KO macht das in fabelgleicher Weise mit deutschen Flussnamen, von der Werra, Fulda über Weser bis hin zur Pleiße, Saale und Elbe, die in die Nordsee fließen, wo von ihnen dann nichts mehr übrig bleibt. Ein Schelm, der dabei Hintergedanken zu entwickeln vermag.
Wie nicht anders zu erwarten, soll dieser Abend mit einem starkdeutschen Gedicht für den Dezember enden, dem, als krönender Abschluss und vielleicht auch als Hommage an eine alte Leipziger Combo, seine Version vom „Wandersmann“ folgt. Für mich das stille schlichte i-Tüpfelchen dieses Abends im kalten Winter.
Keine Frage, dass ihn danach keiner einfach mal so vom Podium lassen möchte. Bereitwillig stellt er in Aussicht, noch einen Wunsch erfüllen zu wollen und bekommt aus dem Publikum „Hände halten“ und „Klassentreffen“ zugerufen. Das eine Lied lyrisch leise und das andere deftig, frech und nachdenklich, beenden nach reichlich zwei Stunden Liedersammelsurium vom Sänger, Gitarristen und Autor KOKOTT den Abend. Allerdings nicht, ohne uns wissen zu lassen, in Jahresfrist mit Scarlett O’ wieder hier nach Halberstadt anreisen zu wollen. Ich für meinen Teil freue mich zusätzlich sehr auf eines der Konzerte mit WACHOLDER im Jahr 2018, wenn dann die deutschen Folk-Veteranen ihr 40-jähriges Jubiläum mit ihren, im schönen Herbst ihres Lebens angekommenen, Fans feiern werden. Spätestens dann werde ich, so wie damals im Brauhaus Radigk zu Finsterwalde beim 30-jährigen, wieder dabei sein, um eine Legende des Folk zu ehren und zu feiern. Ganz gleich, ob es dann Herbst ist oder schon wieder Winter sein sollte.
www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
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