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HC SCHMIDT singt WAITS und liest Bukowski für "Frühaufsteher" in Magdeburg
HC SCHMIDT singt WAITS und liest Bukowski für "Frühaufsteher" in Magdeburg
in Konzertberichte 2019 und älter 17.04.2015 18:16von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
HC Schmidt, Herr Müller, Waits & Bukowski
(15.04.2015)
HC SCHMIDT ist einer von der Sorte Musiker, die Rockmusik in der DDR quasi schon von Beginn an in verschiedenen Bands und Projekten gestaltet haben. Kenner zeigen auf uralte Autogrammkarten von Electra, zwei Wege und Generator oder erinnern sich an Auftritte eine dieser Kapellen in Dorfkneipen um die Ecke, bei denen HC hinter dem Schlagzeug saß und als Sänger die wunderschöne Folk-Ballade „Halt mich fest“ sang.
Das ist lange her und Hans Christian, so sein vollständiger Name, hat viel erlebt, gesehen und noch mehr durchgemacht, ehe er bei den Liedern und Balladen von TOM WAITS landete. Diesem Zufall haben wir es zu verdanken, dass der Mann inzwischen mit Lieder von Waits und Texten von Bukowski live zu erleben ist. Die Lieder von Tom Waits sind ohne jegliche Schnörkel, manchmal ruppig oder gar skurril, aber immer schön, weil den wirklichen Szenen unseres Lebens entrissen. Und wirkliches Leben findet auch in den Seitenstraßen und auf Hinterhöfen statt, wo die Sonne nur selten hinkommt und in den Großstätten Menschen am Tresen philosophieren, um dann nachts in Pappkisten am Straßenrand einzuschlafen. Diesen Songs und Geschichten gelingt es HC SCHMIDT, das ihm eigene Empfinden, mit viel Gespür für die Balanceakte der Handelnden, überzuhängen.
TOM WAITS ist einer meiner Generation, meines Jahrganges, ja fast meines Sternzeichens. Kann sein, dass so etwas irgendwie verbindet und man deshalb auch ein Gespür für Musik abseits der gängigen Muster und Verkaufsstrategien entwickelt hat. Davon gab es in den 60er und 70er Jahren, siehe Frank Zappa oder Peter Hammill, nicht gerade wenige. Doch WAITS ist irgendwie nach außen der Underdog geblieben und öffnet sich bestenfalls durch seine Lieder dem neugierigen Zuhörer. Einer, der das auf faszinierende Weise übernimmt, ist eben HC SCHMIDT, der Sachse aus dem „Tal der Ahnungslosen“, wo er noch immer zu Hause ist. Statt in Dresden treffe ich ihn diesmal – genau – in Magdeburg, der Landeshauptstadt der „Frühaufsteher“, zu denen ich neuerdings auch gehöre.
In den Seitenstraßen von Buckau, einem Ortsteil von Magdeburg gelandet, fallen mir, welch Zufall, sofort ein verfallenes Gelände, kaputte Fassaden und die Graffitis darunter auf. Der alte „Abtshof“, so scheint es im ersten Augenblick, passt genau hierher. Seit fast 90 Jahren werden in dieser Destillerie alkoholische Spezialitäten gemixt und unter das Volk gebracht. Doch ehe das heilige Gelände betreten werden darf, heißt es vor dem eisernen Tor warten. Kein Pförtner, kein Hinweis, kein Einlass. Nichts. Eine halbe Stunde vor Beginn dann zwei Damen. Die eine zaubert Tickets aus ihrer Geldbörse und die andere bringt eine Besuchergruppe hierhin, wo wir auf Einlass hoffen. Beide Gruppen, nun glücklich vereint, werden nun auf das Gelände geführt und dürfen den Schlussakkord der Betriebsbesichtigung miterleben. Alles ein wenig unwirklich, unorganisiert und sicher nicht geschäftsförderlich. Irgendwie auch skurril und damit doch wieder zum Gesamtthema passend. Doch davon ahnen die Damen nichts.
Das Konzert findet, passend zum Umfeld und Thema, in der Abfüllhalle statt. Im Eingangsbereich die Stuhlreihen und dicht daneben die Maschinerie zum Abfüllen. Einen besseren Ort, so mein spontaner Eindruck, hätte man wohl kaum finden können. Die Maschinenhalle hat Atmosphäre und vom Podest im Hintergrund, grob und rustikal gezimmert, geht ein gedämpfter Charme aus. Allein dieses Raumes wegen und der Umstände, wie wir hierher geführt wurden, hat sich die Anreise gelohnt. Inzwischen ist der Konzertbereich (ab)gefüllt, fast alle Stühle mit einen Gast besetzt, als die Hausherrin (?) beide Künstler im „Abtshof“ zu Buckau begrüßt.
Schon steht er ganz allein da vorn im gedämpften Licht und trägt uns die ersten Zeilen eines Textes vor, den ich nicht kenne. Woher auch – Bukowski ist mir neu, wie manch anderer Namen, der mir hin und wieder begegnet, auch. Aber dieses Gedicht, das HC gerade spricht, weil es sich nicht reimt, rührt mich an und denen vor mir scheint es gleich zu gehen. Knisternde Stille, nur Worte voller Dynamik. Es geht um jemanden, der irgendwo „Auf dem Balkon“ sitzt und seinen eigenen Gedankensprüngen, mit Blick in die Ferne, nachhängt und gar nicht erst versucht, sie zu ordnen. Da bin ich zum ersten Mal beeindruckt.
Noch sitzt HC ganz allein da vorn, die kahlen blauen Fliesen und den Stapel Paletten im Rücken. Aus der Konserve ertönt ein Klavier und er singt mitten im frischen April vom „November“, wie ihn WAITS sah: „Na shadows, no stars, no moon, no cars … we’ll slaughter them all.“ Düsterer geht’s kaum noch und dennoch liegt darin so eine geheimnisvolle Faszination, eine dunkle Neugier, die mich ein zweites Mal in ihren Bann zieht.
Erst jetzt bittet HC seinen heutigen Gast, MARTIN MÜLLER aus Magdeburg, zu sich. Um diesen Abend nicht platzen zu lassen, sprang dieser für die kurzfristig erkrankte Partnerin von HC ein und wie sich bald herausstellen wird, hätte es kaum besser kommen können. Begleitet von MARTIN, der mit einem Knopfakkordeon sehr einfühlsam zu begleiten versteht, erleben wir eine wundervolle Version von TOM WAITS’ „Cold Cold Ground“, die Geschichte eines Typen, der offensichtlich in einer Kneipe eins „auf die Fresse“ bekommen hat: „cestfallen sidekick in an old cafe“ – wenn ich das richtig verstehe. So wie HC mit MARTIN den Song interpretiert, passt das irgendwie auch zusammen, denn WAITS singt, mit einem gewissen Galgenhumor, von den Verlierern und einsamen Typen und dies mit nachvollziehbarer Melancholie. Genau so, nur ein wenig anders, klingt es auch bei HC SCHMIDT und MARTIN MÜLLER, der, mit seinem Instrument auf dem Schoß, eine echte Bereicherung ist.
Mich berühren die Zeilen, die HC SCHMIDT von der „Gottesanbeterin“ liest, die dieser Bukowski einst niederschrieb von einem, der immer wieder zu einer Frau ins Bett steigt und dennoch nichts zustande bringt, obgleich er sie liebt. Der erste Gedanke ist der falsche und erst viel später wird man, falls man neugierig genug ist, die bittere Wahrheit erfahren und die ist alles andere, nur eben nicht lustig. Diese und andere Zeilen, nicht nur von Bukowski, sorgen für Stille. Ein weiteres skurriles „Bild“ inmitten von Maschinen. Dort hinein erklingt dann das Kompliment „A Sight For Sore Music“ (etwa „Augenweide“), das TOM WAITS einer unbekannten Schönen schrieb. HC SCHMIDT und MARTIN MÜLLER malen das musikalische Porträt in die Kühle der „Abfüllhalle“ hinein, mit rauchiger Stimme, die Zigarillos atmet und nach Whisky schmeckt, gesungen und von wehmütig schönen Tönen des Akkordeons untermalt. Da bin ich ein weiteres Mal tief beeindruckt.
Meisterlich und gefühlvoll leitet der „Müller Blues“ nach einer kurzen Unterbrechung den zweiten Teil des Abends ein. Ganz allein sitzt der Musiker mit dem Knopfakkordeon und geschlossenen Augen im Licht und spielt dieses kleine Instrumentalstück. Da erinnert er mich an einen anderen (Morgen)Stern, der das Instrument in ähnlicher Weise beherrscht. Es ist wohl eine glückliche Fügung mit unglücklicher Ursache, dass dieser MÜLLER-Meister die Hörer heute bezaubern darf. Wieder folgen mir unbekannte Texte, von HC mal wuchtig und dann wieder leise gesprochen. Ein feiner Genuss, diesem Mann in die kleinen Geschichten zu folgen, Erstaunliches zu hören und dann wieder nicht zu wissen, ob man über einen „der seine Zähne essen will“, wirklich lachen darf, sollte oder muss.
Wir erleben zwischen kalten Kacheln und ruhenden Maschinen zwei Stunden gesungenen, gehauchten und gekrächzten Waits sowie eindruckvoll gesprochene Texte von Bukowski und anderen. Auf dem Holz(Kisten)Podium sitzen zwei Ausnahmekünstler, die sich nicht gesucht, wohl aber gefunden haben und bestens, bis in kleinste Nuancen, miteinander harmonieren. Genau das macht diesen Abend so besonders und einmalig. Vom Ort des Geschehens mal völlig abgesehen. HC SCHMIDT schlüpft in die jeweiligen Charaktere und gibt ihnen für den einen Moment ein Leben. Was MARTIN MÜLLER seinem Knopfakkordeon dazu an bluesigen Tönen entlockt, wie er die gesungenen Charaktere mit Musik füllt, muss man erlebt haben.
Einen besonderen Höhepunkt gibt es immer. An diesem Abend mit HC als die Stimme von Tom Waits ist es – natürlich – „Tom Taubert’s Blues“, den die meisten eher als „Waltzing Mathilda“ kennen. Aber dies jetzt auseinanderzubasteln, würde zu weit führen. Ich sitze, äußerst knapp bemessen, auf dem stählernen Rande eines der Bewegungsbänder und genieße es, wie SCHMIDT den Song lebt und ihn gestaltet. Ich erlebe das nicht zum ersten Mal, aber es beeindruckt mich jedes Mal neu. Toll gemacht und dann noch „Time“ hinterher. Einen gefühlvolleren Abschluss kann man sich nicht wünschen.
Doch, es geht noch zu steigern! MARTIN MÜLLER hat sich einen der frühesten Songs seines Idols, das er auf T-Shirt gedruckt trägt, „vorgeknöpft“ und einige deutsche Worte für etwas gefunden, das man so nicht übersetzen könnte. Diesmal unterstützt HC SCHMIDT seinen Gast auf dem Cajon sitzend und MARTIN singt „Ich hatte ’ne Frau“ („Had Me A Girl“). Egal wie die historische Reihenfolge tatsächlich war, ich hatte sofort einen Mann namens Insterburg im Hinterkopf, während MARTIN singt: „Ich hatte ’ne Frau in Bayern, die griff mir immer gleich an die Arme“ und alle grienen bei dieser abschließenden Strophe. Sie nehmen das Grinsen, und damit die Fröhlichkeit, später mit auf ihren Weg nach Hause. Als letzte Zugabe singt HC SCHMIDT noch seine Version von Leonard Cohen’s „Hallelujah“, die denen, die ich schon kenne, eine weitere Nuance hinzu fügt.
Minuten später bekommt die „Abfüllhalle“ ihre technisch sterile Kühle zurück. Die Damen vom Einlass, Betriebsbesichtigung, Kartenverkauf und Verkostung werden zu früher Nachtstunde richtig putzmunter und stellen jetzt das Räumkommando. Ich frage mich, wie ein TOM WAITS all diese Aktivitäten wohl für einen „Bottling Hall Blues“ in schrullige Worte fassen würde. Wirklich schade, dass ich darauf nie eine Antwort erhalten werde.
Am 17.04.2015 gegen 18.32 Uhr auf Wunsch des Autors kleine redaktionelle Änderung an der Themenüberschrift vorgenommen durch Admin. Kundi
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