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BAYON live in Dresden - beeindruckend anders

in Konzertberichte 2019 und älter 17.11.2014 16:26
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Emotionale Entführungen mit Bayon (14.11.2014)

Es gibt sie noch, die Musik, die sich einfach allen gängigen Kategorien, Schubladen und Nähkästchen der Pop-Industrie entzieht, elegant und leise. Tatsächlich gibt es noch Musik, die sich diesen Zwängen verweigert und dennoch, des guten Geschmacks und der Bildung wegen, eigentlich viel populärer sein sollte, weil sie Emotionen in die Tiefen der Seele entführen kann, als nur in flache seichte Gewässer. Musik, wie ich sie hier meine, macht nicht vordergründig atemlos, sie kann aber im Idealfall sprachlos, weil glücklich und friedvoll machen. Sogar ohne eine einzige gesungenes Zeile oder einen Refrain. Für flüchtige Charterfolge ist sie deshalb völlig ungeeignet, für das Leben aber unabdingbar und wertvoll, so meine feste Überzeugung.

Die Musik von BAYON gehört zu meinen ersten Erfahrungen deutscher Rockmusik. Sie hat mich früh geprägt, mich verleitet, anders hören zu lernen. Vielleicht hat der alte Goethe ein wenig nachgeholfen, denn auch der war ja in Weimar, wo BAYON 1971 gegründet wurde, zu Hause. Wenn Goethe’s Erben auf die Gesandten von Prinz Sihanouk treffen, kann nur etwas Unerhörtes und bis dahin ungehörtes herauskommen. Für mich persönlich repräsentiert BAYON eben nicht nur die in Musik verschmolzenen unterschiedliche Kulturen, für mich lebt BAYON auch das normale und schöpferische Miteinander des scheinbar Unterschiedlichen vor und sie spielen eine Musik, die das spiegelt. Sie zu hören, ist für mich ein Eintauchen in und ein Teilhaben an diesem Mikrokosmos von CHRISTOPH THEUSNER, Gitarre, und SONNY THET, mit dem Cello. Deshalb nutze ich gern jede Möglichkeit, die sich mir bietet, die beiden Ausnahmemusiker gemeinsam zu hören. Wenn dann noch der Sohn des verstorbenen Ringo W. Stilke, DENIS STILKE, am Schlagzeug Platz nimmt und JUSTO GABRIEL PEREZ die Flöte zum Mund führt, die Bongos klingen lässt, dann steht einem der seltenen Konzerte von BAYON nichts mehr im Wege.

Mit der Musik von BAYON gelingt es einerseits, eine beeindruckende Performance am Tagebauloch bei Gut Geisendorf für tausende begeisterte Zuschauer zu feiern und andererseits im intimsten Ambiente fassbare Nähe, wie im eigenen Wohnzimmer, zuzulassen. Gleich wie, stets ging ich im Hochgefühl des Erlebten, um danach doch wieder hungrig auf ein weiteres Mal zu sein. Diesmal fahre ich bis Dresden und es ist so ziemlich alles anders, als noch vor kurzem. Bis auf das steife Umfeld eines Hörsaales mit seinen sich nach oben hin stapelnden Reihen von Klappstühlen. Es ist sogar der gleiche Platz, auf dem ich im März 2009 dem Spiel von Fermata aus Bratislava lauschte - zwei völlig verschiedene Bands am selben Platz, aber der gleiche hohe Anspruch an die wortlosen Inhalte. Parallelen gibt’s!

Fünf Herren betreten den Hörsaal. Fünf Herren nehmen Platz, stimmen noch einmal die Instrumente und dann kündigt CHRISTOP THEUSNER die „Suite V“ an. Nur diese Ankündigung genügt, um mich wie in den 1970er Jahren zu fühlen. Endlich wieder fast eine halbe Stunde allerfeinste Unterhaltung am Stück, das ultimative Meisterwerk der Band, wenn man mal den „Tanz der Apsara“ (2008) außen vor lässt.
Die Suite, eigentlich eine Übertragung unterschiedlicher Elemente von Rock bis Swing in ein Gewand kammermusikalischer Strukturen für Gitarre und Cello, beginnt verträumt und leise. So als wolle man den Zuhörer zunächst erst an die Hand nehmen, um ihn zu entführen. Doch schon bald bestaunen wir eine hinreißende Solo-Einlage von SONNY THET, die, verbunden durch eine Percussionseinlage, der Gitarre von CHRISTOPH THEUSNER Raum für einen Solo-Ausflug schafft. Der lässt seine Finger rasant über die Bünde tanzen und fabriziert einen Hauch von Swing in den Hörsaal. Nach jeder Solo-Einlage spendiert das sachkundige Dresdner Publikum Applaus. Mein kleiner Höhepunkt der „Suite V“ sind jene Passagen, in denen SONNY ebenfalls zur Gitarre greift und gemeinsam mit CHRISTOPH synchron gespielte Läufe, in unterschiedlichen Anschlagtechniken, fabriziert. Spätestens jetzt sind alle Grenzen von Genres offen und nur noch fließend, was uns auch DENIS STILKE in unnachahmlicher Manier mit seinem Rhythmus-Instrumentarium demonstriert. Die knappe halbe Stunde vergeht in einem Rausch exotischer Klänge, lateinamerikanisch inspirierter Rhythmen und europäischer Melodieführung, die sogar liedhaft schlicht bezaubern können und dann wieder sinfonisch ausklingten, den Emotionen eine Pause gönnend. Ich bin, wieder einmal, weg und alle. Gedanklich schließt sich für mich ein gewaltiger Bogen von einem Konzert im Jahre 1977, über die Performance am Tagebaurand bis hin zu diesen Augenblicken hier in Dresden.

Nach einer kleinen Pause bekommen wir mit „El Camino“ eines der ganz frühen Stücke aus dem Jahre 1972 zu hören. BAYON hatte das Stück als Auftragswerk für die X. Weltfestspiele geschrieben, doch den Kulturoberen war es wohl zu unkonkret, nicht fassbar, zumal ohne Text. Eine andere Band aus Berlin erhielt den Zuschlag, aber das flockige Flötenmotiv von „El Camino“ überdauerte als Ohrwurm die Jahrzehnte und begeistert mit seinen Samba-Rhythmen immer wieder neu.

Ein kleiner Hinweis von SONNY, „jetzt würde Mark Knopfler eine seiner sieben Gitarren nehmen“, und dann erleben wir live, wie CHRISTOPH THEUSNER seine Gitarre, der Khmer Pentatonik entsprechend, neu stimmt. BAYON haben ein über 1300 Jahre altes Khmer-Motiv für sich entdeckt, es überarbeitet und als „Angkor“ – Trilogie auf ihre CD „Tanz der Apsara“ gebracht. Dieses wunderschöne Kleinod, das vom Klang des Cello dominiert wird und vom Reichtum seiner Melodien lebt, kann in die Tiefen der Seele abtauchen, kann jeden berühren, kann weich und zerbrechlich machen. In Zeiten lauter und vordergründiger Effekthascherei ist dieses Stück Klang wie Balsam für die Seelen, wie Medizin, die uns langsamer werden lassen kann. SONNY THET zelebriert virtuose Cello-Klänge, lässt sie entstehen und schweben, damit man in sie eindringen kann. JUSTO PEREZ fügt ein Flötenmotiv hinzu und die Motive beginnen sich, ineinander zu verweben. Es ist wie eine Reise nach Angkor, zu dieser Region im fernen Kambodscha mit seinen einzigartigen Tempelanlagen. Hier kann man, wie beim Klang der meditativen Musik, zur Ruhe kommen. Das Thema wird im „Epilog“ weitergeführt und von der Flöte übernommen, ehe es wieder, vom Celle gespielt, ausklingt. Den Abschluss der Trilogie bildet der „Tanz der Apsara“. Es ist ein Tanz der Instrumente, die das Thema noch einmal verspielt umgarnen. Diese reichliche Vierteilstunde von der Band live gespielt zu erleben, ist jedes Mal ein besonderer Genuss.

Mit „Capriccio“, „Rundgang“ und „Cha Facil“ folgen drei kürzere Stücke, wobei uns CHRISTOPH zum „Rundgang“ (durch die kleine DDR) wieder eine besondere Geschichte zur Entstehung präsentiert, die uns alle wieder einmal schmunzeln lässt. Zurück in jene Zeit führt uns auch die Musik zum Film “Tiefer blauer Schnee“ (1981). Der Streifen entstand nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Horst Beseler und BAYON spielte die beiden Stücke „Herbst“ und „Winter“ dafür ein. Beide hören wir live gespielt und wieder sind es zwei synchron gespielte Gitarren, die mich begeistert lauschen lassen. Das Konzert endet mit „La Taberna“ (Die Kneipe), einem Stück von THEUSNER, zu dem ihn das Studium des Spiels der Spanischen Gitarre inspirierte. Als er da vor mir sitzt und spielt, kann ich direkt seine Zupftechnik bestaunen und erleben, wie im stummen Zwiegespräch mit SONNY THET die Einsätze „abgesprochen“ und kleine Raffinessen „verabredet“ werden. Da sitzen zwei Meister ihres Faches, die sichtlich Freude am Spiel haben und es genießen, mit ihren Partnern am Bass, ROBERT BARDIN, Perkussion und Flöte gemeinsam zu musizieren. Sie zelebrieren über 45 gemeinsame Bandjahre ohne laut und aufdringlich in den Ring zu steigen. Es sind die intimen und leiseren Töne, die länger klingen und auch so wirken.

Wer BAYON live erlebt, der bekommt eine ungewöhnlich intensive Fusion von konzertanter Gitarren- und Cellomusik zu hören, die sich Facetten unterschiedlichster Genres bedient, sie zeitweise auch in sinfonische Strukturen packt, um sie dann wieder in ostasiatischen Folk-Klängen aufzulösen und frei schweben zu lassen. Irgendwann nannte Peter Gabriel diese Melange Weltmusik doch da hatte sich die Band BAYON in der kleinen engen DDR schon längst wieder aus diesem Korsett befreit. Die wir hier in Dresden dem Konzert lauschen, wissen um jene Besonderheit und honorieren diese Leistung mit frenetischem Applaus. BAYON spielen aus der „Suite IV“ die „Barcarole“ und damit eines meiner Lieblingsstücke, das man auch auf dem Album „Suite“ (1980) hören kann. Ganz zum Schluss noch „Echos“, ein Stück, das CHRISTOPH THEUSNER gemeinsam mit Hermann Naehring für sein erstes Solo-Projekt „Klangbilder“ von 1989, eingespielt hat. Dieses Album ist aber, wie viele andere auch, in seiner öffentlichen Wahrnehmung dem neuen Zeitgeist und dessen Götzen geopfert worden. Leider.

Ginge es nach rein marktorientierten Parametern, dürfte es BAYON als Band schon längst nicht mehr geben und wir wären um einen wertvollen Diamanten in der Kunst ärmer. Zum Glück sind die Musiker der Band alle einzigartige Könner und BAYON „nur“ ihre gemeinsame Leidenschaft, die wir Liebhaber ab und an irgendwo im Lande genießen können. Wer eine solche Chance hat, sollte sie nutzen, denn jedes der Konzerte ist ein einzigartiges Erlebnis und Kraftquell für unsere Seelen gleichermaßen. Für Momente der inneren Einkehr kann man die Hast außen vor lassen, sich dem Genuss einmalig schöner und kraftvoller Musik hingeben, um dann wieder selbst erstarkt, das Leben meistern zu können – das und noch einiges mehr ist für mich BAYON – Musik und nunmehr schon seit 45 Jahren. Es hätte, nach so vielen erfolgreichen Jahren, ein Jubiläumskonzert werden oder sein können. Eines zum Jubeln ist es allemal geworden.

Angefügte Bilder:
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www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
zuletzt bearbeitet 17.11.2014 16:27 | nach oben springen


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