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ENGERLING 27.09.14 "Tante Ju" Dresden
ENGERLING 27.09.14 "Tante Ju" Dresden
in Konzertberichte 2019 und älter 01.10.2014 11:14von Kundi • | 3.250 Beiträge | 7335 Punkte
Die Gruppe ENGERLING (auch die Bezeichnung ENGERLING BLUESBAND tauchte besonders in der Vergangenheit auf) darf man wohl mit Fug und Recht als DIE Konstante in der ostdeutschen Blues- und Bluesrockszene bezeichnen. Seit fast 40 Jahren sind die ENGERLINGE hier dick im Geschäft und sie waren eigentlich nie richtig weg. Dabei schert sich die Kapelle einen Dreck um die "reine" Blues-Lehre und mischt munter Rock, Blues, Boogie, etwas Soul sowie andere Zutaten zu einem unverkennbaren und typischen ENGERLING-Klang. Das ist auch eines der Erfolgsgeheimnisse der Band, aber eigentlich ist das ja auch kein Geheimnis für die ENGERLING-Fans. "Geheimnis" Nummer 2 ist die Bodenständigkeit der Musiker. Starallüren sind ihnen fremd. Ganz rätselhaft mutet der ENGERLING-Erfolg einigen vielleicht an, wenn man weiß, dass die Band auf sämtliche Showelemente verzichtet und das völlig ohne Probleme. Die Musik steht immer im Mittelpunkt allen Tuns. Dreh- und Angelpunkt ist natürlich Boddi, der Mann an den Tasteninstrumenten.
Selbst die Wendezeit hat die Band um den Keyboarder, Sänger, Komponisten und Texter Wolfram "Boddi" Bodag eigentlich schadlos überstanden. Schadlos, aber nicht widerspruchslos - Beleg dafür ist für mich das ganz starke 1992er Album "Egoland" mit nachdenklichen, zum Teil auch bissigen Liedern wie "Herbstlied", "Legoland" oder "Es kommen andere Zeiten". Ich hatte Engerling damals gar nicht so distanziert, kritisch und auch auch nicht so vorausschauend erwartet. Deshalb waren die klaren Worte so überraschend für mich. Eigentlich kamen sie sogar einen Donnerschlag gleich. Das Egoland"- Album tat und tut mir auch heute noch gut, denn Boddi erfasste in seinen damaligen Texten viele Gedanken und Gefühle, die auch mich beschäftigten.
Natürlich reichen meine ENGERLING-Erfahrungen und -Erlebnisse aber noch weiter in die Vergangenheit zurück. Es war Ende der 70er Jahre, da wurde die Band im mit ersten Single's und der folgenden Langspielplatte (alle bei AMIGA erschienen, das wird sicher niemanden wundern) schlagartig einen größerem (Ost-) Publikum bekannt. Erfolgreiche Platzierungen in den entsprechenden Hörerwertungssendungen ließen weiter aufhorchen. ich glaube, die ENGERLINGE waren damals sogar noch ein eingestuftes "Amateurtanzorchester". Das war ja damals so üblich. Die Langrille verkaufte sich sensationell gut und das war einer der Grundsteine für den weiteren erfolgreichen Weg der Band.
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Ungefähr zu dieser Zeit (1979???) sah ich ENGERLING in der Bautzner Stadthalle "Krone" das erste Mal live. Es war damals die Zeit der Tramper, Blueser und Kunden. Es war damals ganz große Mode, um nicht zu sagen total in, eine Mundharmonika in einem Lederetui an einem Bändel oder Strick um den Hals zu tragen. Gefühlt trug jeder zweite oder dritte Jugendliche aus Blueser-Kreisen so einen Schnauzenhobel an sich zur Schau. Ganz irre wurde es, wenn bei einem Konzert Künstler eine Mundharmonika benutzten, da fühlten sich natürlich die eben geschilderten Personen auch gleich berufen ihr Instrument aus dem Etui zu ziehen und wahlweise zu schwenken (das war die harmlose Version) oder wie verrückt total schief mitzuspielen (das war die Ohrenkrebs-Variante). Ich bin mir nicht mehr sicher, aber ich glaube, dass Boddi deswegen sogar eine Zeit auf den Einsatz der Mundharmonika verzichtet hat. Kann sich da noch jemand dran erinnern??
Ich höre also seit etwa 35 Jahren ENGERLING-Tonträger (Schallplatten, Musikkassetten, CDs, DVDs, mp3s) und gehe auch immer wieder zu ENGERLING-Konzerten. Dabei bin ich aber nicht der Typ, der ENGERLING nun jeden Tag rauf und runter hört oder 5 Mal die Woche bei Boddi & Kollegen vor der Bühne steht. Alles hat seine Zeit bei mir und mit 1 oder 2 ENGERLING-Muggen im Jahr komme ich ganz gut hin. Auch auf MITCH RYDER-Muggen wurde ich schon mehrmals gesehen. Ich alter Muggenpilger habe bekanntlich ja einen sehr breit gefächerten und exquisiten Musikgeschmack. Deshalb muss ich mir eine Konzertbesuche auch etwas einteilen. Seit die ENGERLING - Musiker die Begleitband von MITCH RYDER auf dessen Europa-Touren bilden, finden übrigens auch immer mehr Altbundesbürger Gefallen an ENGERLING.
Am 27. September wollten Wolfram Bodag (Gesang, Keyboards, Mundharmonika), Heiner Witte (Gitarre), Manne Pokrandt (Bass) und Hannes Schulze (Schlagzeug) die Veranstaltungsstätte mit dem altehrwürdigen Namen "Tante Ju" in Dresdens Industriegelände inklusive der doch sehr zahlreichen und auch zahlenden Passagiere wieder mal zum Abheben bringen. Es war ein Sonnabend und zeitgleich fand hinter Dresdens bekanntesten Liveclub noch ein Festival mit 3 Bands der knüppelharten Musikfraktion statt. Unter anderem war die legendäre Band MACBETH aus Thüringen dort dabei, die hätte ich auch sehr gerne gesehen. Leider spielten MACBETH und ENGERLING im Prinzip zeitgleich. Obwohl die Metaller ordentlichen Krach machten, hörte man im besten Liveclub der sächsischen Landeshauptstadt kaum etwas von der Schwermetallmusike.
ENGERLING begann erwartet unspektakulär mit dem Konzert. Die Musiker nahmen einfach ihre Plätze ein und begannen den traurigen "Moll Blues" zu spielen. Das Lied handelt ja von einer Trennung und so etwas kann Menschen schon beschäftigen, ja sogar regelrecht fertigmachen. Dabei ist es völlig egal, dass das Lied von der weiter oben in diesem text angesprochenen ersten Langrille der ENGERLINGE stammt. Trennungen von Paaren gab es früher und solche Trennungen gibt es auch heute. Dabei ist es völlig Ritze, welches Gesellschaftssystem gerade am Steuerrad dreht. Viele Lieder von ENGERLING behandeln ja eher simple und alltägliche Themen. Sie drehen sich ja eher um die kleinen Dinge. Eigenartigerweise entfalten gerade die banalen Sachen manchmal die größte Wirkung.
Ich bin mir gar nicht mal so sicher, dass das immer so beabsichtigt war, als die Songs/Texte entstanden. Man kann sogar aus einer nicht stattgefundenen Party eine Geschichte mit Tiefgang stricken und daraus sogar ein Lied machen wie uns ENGERLING mit "Molls Party" live bewies. "Da hilft kein jammern", wenn die eigene Freundin mit dem neuen "Cadillac" abhaut, es kommt "So oder so" immer alles anders.
Die Musiker sind ja wunderbar aufeinander eingespielt. Bodag und Witte spielen ja zusammen durchgängig bei ENGERLING und das seit 1975. Auch Manne Pokrandt ist schon seit 1986 dabei. Das Band-Nesthäkchen Hannes Schulze ist ja praktisch mit dieser Musik aufgewachsen. Seine familiären Bindungen zu Boddi sind ja allgemein bekannt. Vater und Sohn spielen nun auch schon seit 2005 in der gleichen Formation.
Boddi sang wieder oft mit geschlossenen Augen. Er schien so wieder förmlich in der Musik und in den Texten aufzugehen. Dieses ganz in sich versunkene Singen sieht man recht oft bei ihm. Was mir bei ENGERLING-Muggen seit Jahren noch auffällt und sehr gefällt ist die Songauswahl. Da variiert der ENGERLING-Kopf und -Motor Wolfram Bodag schon sehr gut und geschickt. Eine ständig neue Hits produzierende Kapelle sind die ENGERLINGe nämlich nicht gerade, Das brauchen sie in meinen Augen auch nicht unbedingt sein. Das vorhandene eigene Songmaterial und jede Menge internationale Klassiker bilden ja einen tollen Grundstock. Natürlich sind einige Lieder trotzdem immer dabei, die wollen die Fans auch immer wieder hören. Das ist auch gut so und völlig okay. Trotzdem gibt es für ENGERLING da noch genug "Spielraum". Aber nicht nur die Songauswahl gefällt mir, auch der Freiraum, den die Musiker zum musikalischen Improvisieren nutzen, macht die Muggen so interessant.
Da ist eben nicht alles nach Vorschrift und nach Schema F gespielt oder sogar seit X-Jahren gleich klingend wie bei der ersten Aufnahme, sondern die Lieder entfalten immer wieder ein neues Leben. Auch dabei muss man kreativ sein und das sind die 4 Herren ohne Zweifel.
Wem am Sonnabend in Dresden bei den von ENGERLING so herrlich interpretierten Rolling Stones-Klassikern "Play with Fire" und " Sittin' On A Fence" nicht vor Begeisterung fast der Kopf weggeflogen ist, dem, dem ist das gehirnfassende Skelett-Teil auf dem Hals bestimmt bei der einen oder anderen Bodag'schen Eigenschöpfung fast explodiert. Ich kann euch ja mal die Lieder nennen, die mich besonders angesprochen / berührt haben. An erster Stelle wäre da der Narkose-Blues zu nennen. Das Lied von der 1989er Scheibe "So oder so" mochte ich ja schon immer, aber heute mit meinen eigenen Erfahrungen und live gespielt mit dem "Apfeltraum"- "Ring of Fire" - Zwischenteil entfaltet es auf mich eine noch viel intensivere Wirkung. Das Lied ist irgendwie sehr eng an mein Leben geknüpft. Zum einen gehörten CÄSAR und auch sein "Der Apfeltraum schon immer zum Soundtrack meines Lebens. Als wir CÄSAR auf dem Leipziger Südfriedhof zur seiner letzten Ruhestätte begleiteten, heulten wir mit Freunden Rotz und Wasser. Ich habe wenig später die Tränen tapfer runtergeschluckt als Boddi den "Apfeltraum" erstmals in den "Narkoseblues" einwebte und damit an PETER "CÄSAR" GLÄSER erinnerte. CÄSAR ist für immer in unseren Herzen und ENGERLING erweist ihm mit dieser Zwischenimprovisation immer wieder den Respekt. Ich finde das großartig! Die andere Seite betrifft natürlich den Inhalt des Liedes. Wenn man erst selber und sogar mehrmals auf dem OP-Tisch lag und dort in die Schlaf- oder Komaphase geglitten ist, wenn man erst selber aus dem Krankenbett auf ein Gemälde an der Wand gestarrt hat oder man Ärzte / Pflegepersonal ganz weit weg wie hinter einem Vorhang reden hörte, dann erlebt man dieses Lied plötzlich ganz anders. Mann wird nachdenklicher und im meinen Fall auch dankbar, dass meine Retter im Krankenhaus dem verfluchten Sensenmann noch mal ein Schnippchen geschlagen haben.
"Herbstlied", "Legoland" und der auch von ENGERLING als "Es kommen andere Zeiten" gecoverte BOB DYLAN-Klassiker "The times they are changing" habe ich weiter oben im Zusammenhang mit der politischen Wende in der DDR erwähnt. Diese Lieder müsst ihr euch mal in Ruhe anhören und die Texte auf euch wirken lassen. Da wird einem ja fast schlecht, wie genau und treffend der Herr Bodag mit seinen Gedanken den berühmten Nägeln auf den Kopf getroffen hat. Mir brennt ja auch so manches aus der bewegten Zeit unter den Nägeln. Man beachte, das eine waren Nägel, die man irgendwo einschlagen kann, das andere waren Fingernägel. Das Herbstlied" thematisiert zum Beispiel Wendehälse, die sich ganz schnell an die neue Zeit und die neuen Herren anpassten, aufgelöste Sportvereine oder dass man die Chancen des Aufruhrs nicht richtig genutzt hat. "Bei "Legoland" bekommt man als nachdenkender Mensch ja eine Gänsehaut. Wer erinnert sich von uns nicht an die vielen Versprechungen der damaligen Zeit von zum Teil zwielichtigen Leuten. Wer erinnert sich nicht an die Menschen, die meinten, wir in der DDR geborenen Menschen müssten vor Dankbarkeit auf Knien rutschen und unser gelebtes Leben wegschmeißen wie Müll. Das habe ich damals nicht getan und das werde ich heute auch nicht tun. Ich habe ganz gerne in der DDR gelebt, na und? Verboten war/ist das nicht. Es ist MEIN LEBEN und solange ich nichts verbrochen habe, nicht gegen Gesetze verstoßen habe, hat kein Idiot darüber zu richten. Punkt! Ich habe fertig.
ENGERLING spielte den ganzen Abend wirklich groß auf. Es war wirklich ein hammermäßiges Konzert. "Mama Wilson" war dann die letzte Zugabe. ich habe gleich um mich geguckt, ob da noch jemand im Publikum seine Mundharmonika schwenkt oder gar den Song mitspielt. ich kann euch aber beruhigen, diese Zeiten scheinen vorbei zu sein
Gruß Kundi
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