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Nützt ja nüscht - Ostrock mit P70 am 02. 07.2011 in Bad Lausick
Nützt ja nüscht - Ostrock mit P70 am 02. 07.2011 in Bad Lausick
in Konzertberichte 2019 und älter 21.09.2013 09:10von Kundi • | 3.250 Beiträge | 7335 Punkte
Besser wird das Wetter heute nicht mehr, dachte ich mir und stieg am Sonnabendnachmittag trotzdem in mein silberfarbenes Fortbewegungswunder. Nützt ja nischt! Ganz ohne Mugge wollte ich das Wochenende schließlich nicht verbringen. Hinzu kam, dass ich diese Band schon reichlich lange auf dem Radar hatte und ich endlich meine Neugier bezüglich P 70 stillen wollte. Den Namen P 70 für eine Ostrock-Coverband zu wählen fand ich originell und passend. War doch der PKW P 70 aus Zwickau der Vorläufer des Trabants und begründete die Fertigung von Personenkraftwagen mit Duroplastkarossen. Der Trabi war und ist genauso ein Symbol für den Osten wie die Karo-Zigarette, der Goldbroiler oder die Kaufhalle.
Nur Männer aus Stahl fuhren diese Autos aus Pappe. Auch ich lenkte damals einen 601er aus Zwickau. Im Bandnamen P 70 steckt auch die symbolträchtige Zahl siebzig und diese weist eigentlich auch auf das Programm der Band hin. In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erlebte die Musik, die wir heute als Ostrock bezeichnen, bekanntlich ihre Blütezeit und diese hielt bis weit ins achte Jahrzehnt an. Folgerichtig erwartete ich in Bad Lausick von P 70 aus Leipzig jede Menge Hits aus dieser Zeit.
Bad Lausik feierte letztes Wochenende 3 Tage lang Brunnenfest. Das Festgebiet lag im Kurpark und die Tageskarte kostete 5 Euro Eintritt. Eine wirklich sehr schöne Freilichtbühne mit überdachtem Zuschauerbereich war der Mittelpunkt des Geschehens. Da Menschen mitunter auch Phantasie besitzen, hat vor einiger Zeit irgendwer beim Anblick dieses Kleinods den Begriff Schmetterlings-Bühne geprägt. Also nass würde ich unter den Flügeln des hölzernen Schmetterlings die folgenden Stunden schon mal nicht werden. Versorgungstechnisch war in Reichweite auch bestens vorgesorgt. Besonders angetan hatte es mir ein ganz kleiner Kaffeespezialitäten-Stand. Die Dame dort hatte ganz frischen und leckeren Kaffee im Angebot und das noch zu einem vernünftigen Preis. Das war genau das Richtige gegen die vorherrschende Maikühle an diesem Juli-Tag. Was mich sehr wunderte, war der geringe Zuschauerandrang. Lag es am Wetter, am Eintrittspreis oder war es einfach noch zu früh für die einheimische Bevölkerung? Egal, die Anwesenden sind rückblickend aber auf ihre Kosten gekommen und erlebten eine schillernde Ostrockshow mit der Band P 70.
Angesichts der halbleeren Sitzplätze mögen die Musiker „Nützt ja nischt!“ gedacht haben, aber sie bliesen deswegen keineswegs Trübsal. Ganz im Gegenteil, sie ritten eine volle Ostrock-Attacke mit viel Herz, Humor und mit einer außerordentlich bunten Mischung an Ostrock-Hits. Das Motto „Nützt ja nischt“ kann man übrigens auch auf der Homepage (www.p-70.de) der Kapelle finden. Ich weiß gar nicht, wie oft im Leben mir diese Worte schon über die Lippen gekommen sind, denn eigentlich ist das ja ein Allerweltsspruch.
Mit Pankows „Langeweile“, einem Lied von der 88er LP „Aufruhr in den Augen“, ging es gleich in die Vollen. Das klang schon mal nicht schlecht, was sich meinen Augen und Ohren darbot. Die Band orientierte sich an den Originalen, spielte die Lieder aber letztendlich auf eigene Art und Weise. Frontmann Tonelli steuerte P 70 durch seine Moderationen angenehm durch das Programm. Da wirkte nichts aufgesetzt oder übertrieben. Er ist so ein Typ, der auf der Bühne daheim ist und sich im Rampenlicht richtig wohlfühlt. Wer bei dem Namen Tonelli an Zirkus denkt, liegt gar nicht mal so falsch. Es gibt einen Film aus den vierziger Jahren gleichen Namens, der im Zirkusmilieu spielt und Tonellis Vater doubelte damals den Hauptdarsteller bei den artistischen Szenen. Bürgerlich heißt Tonelli übrigens Frank Metz und auch er war über 10 Jahre als Jongleur und Clown in der Manege zu bewundern. Außerdem wird einigen Leuten die Musikkneipe „Tonelli’s“ in Leipzig sicher ein Begriff sein. Dass der Mann auch noch bei FEELMEN, dem Leipziger Soul-Orchester singt, wundert mich bei der Gesangsstimme überhaupt nicht. Mit „Der blaue Planet“ von Karat und „Der Clown“ von Neumis Rock Cirkus als Anheizer ging es weiter.
Nun kam die zweite Gesangsstimme in persona von Sabine Martick zum Einsatz. Die Frau brachte optisch und stimmlich Farbe ins Spiel. Nina Hagens „Du hast den Farbfilm vergessen“ passte als Einstieg irgendwie perfekt zu Sabine. Ich kann nicht mal genau sagen, warum ich diesen Eindruck hatte. Die großartige Stimme alleine war es jedenfalls nicht. Lag es an der Kleidung, an der Energie, die sie verbreitete oder an ihren kleinen „verrückten“ Showeinlagen? Schwer zu sagen, wahrscheinlich war es von allem ein bisschen. Ein einnehmendes Lächeln hatte sie außerdem noch. Dass die Frau auch noch bei den FEELMENs und beim Duo Take it Naked( mit dem Four Roses-Basser Ingo Paul) singt, schreibe ich nur der Vollständigkeit halber. Wobei Take it Naked bereits auch schon seit einiger Zeit unter Beobachtung meinerseits steht. Nur noch eine Frage der Zeit bis ich auch bei einem ihrer Auftritte aufschlage.
Wir machen jetzt mal in der Abfolge der Setlist einen Sprung und kommen zum dritten Sänger. Bei „ Nie zuvor“ von ELECTRA trat Gitarrist Mario Rostenbeck erstmalig an diesem Tag als Solosänger ans Mikrofon. Rostenbeck? Da war doch mal was? Richtig, da war mal was vor langer Zeit und zwar eine ganz heiße Band: Amor & Die Kids. Mitte der achtziger Jahre sorgte die Band um Frontmann Frank „Amor“ Schüller mit ihren witzigen, frechen Rock für frischen Wind in der Rock-Landschaft zwischen Ahlbeck und Zittau. Wer erinnert sich nicht gerne an Knaller wie „Blauer Würger“, Wir machen es im Wald“, „Ich mache sowieso nur was ich will“ oder an ihre Coverversion von „Geh zu ihr“? Rostenbeck war Gründungsmitglied und so was wie der Bandchef von Amor & Die Kids. Ahnt ihr welches Lied P 70 dann spielte? Mario begann zu singen „Ich sitz zu Hause ganz allein und weil mich keiner streichelt schlaf ich langsam ein…“. Meine Mundwinkel gingen automatisch nach oben. Das geht mir immer so, wenn ich diesen Kultsong höre. Das Lied alleine ist sowieso schon der Hammer, aber für mich hängen auch persönliche Erinnerungen an das feucht-fröhliche Jugendleben daran. Die Rede ist natürlich von „Komm doch mit (zu nem Ritt auf dem Sofa)“. Die zweite Strophe sang Tonelli und bei der 3.Strophe hörte man dann den Schlagzeuger Uwe Menger singen.
Überhaupt hat sich bei P 70 ein illustrer Haufen erfahrener Livemusiker zusammengefunden.
Uwe Menger saß in den neunziger Jahren unter anderem bei den Bands Stormbringer N.T.L., Four Roses, und The Art of Voices an der Schießbude.
Bassist Torsten Großmann sammelte Erfahrungen unter anderem beim Leipziger Studioteam und bei Brigitte Stefan & Meridian. Seit Jahren ist er auch bei Gudrun Lange’s Countryband Kaktus tätig. Mit dem „Fleischmann“ Bernd Fleischer und Kay Rohr spielt er in der vergangenes Jahr gegründeten Band ZELINKA. Der Tastenmann Andy Hellwig bediente die Tasten früher bei Greenhorn(Countryband) und Andy’s Breakdown(Bluegrass). Aktuell treibt er gemeinsam mit Tonelli und Sabine sein Unwesen auch bei FEELMEN.
Die Musiker machten auf mich einen lockeren und gelösten Eindruck. Sie spulten nicht einfach so ihr Programm ab, sondern sie zeigten wirklich Spielfreude und Witz. Sie wucherten gekonnt mit dem Pfund 3 Sänger in der Band zu haben. Tonelli sang das „Liebeslied“ von RENFT. Anschließend hörten wir Sabine mit dem SILLY-Titel „Verlorne Kinder“. Als Mario dann „ Die Tagesreise“ anstimmte, war ich längst Feuer und Flamme für P 70. Tonelli schob gekonnt ein paar lustige Sprüche ein. So meinte er angesichts des Wetters, dass der Skilift geöffnet hat und auch wärmende Getränke wie Glühwein oder Jagertee ausgeschenkt werden. Angesichts der Zebrahose seines Bandkollegen Rostenbeck kam ihm der alte Spruch „Sprach Abraham zu Bebraham: Kann ich mal dein Zebra ham“ über die Lippen und erntete damit einige Lacher. Auch seine Überleitungen zu den folgenden Titeln fand ich gut. Das war kein endloses Gequatsche, sondern vielmehr Moderation der Marke kurz und knackig. Da ich die Band bisher noch nicht gesehen habe, war der Spannungsfaktor für mich auch sehr hoch. Natürlich hatte ich einige Lieder wie zum Beispiel „Alt wie ein Baum“ oder „Geh zu ihr“ einfach erwartet und die P 70er spielten sie natürlich auch. Aber, dass sie Cäsars „Steig ein“ und „Maggie“ von Keimzeit im Programm hatten, war für mich eine Überraschung und besondere Freude. Dass sich unter den vielen Songs auch ein paar meiner persönlichen Nieten wie „Kling Klang“ oder „Über 7 Brücken“ versteckten, nahm ich gelassen hin. So etwas lässt sich wohl auch nicht immer vermeiden, wenn man ein Programm spielt, das vielen Menschen gefallen soll. Bei den 7 Zwergen, ach nee- „7 Brücken“ wollte ich eigentlich schreiben, gab es aber sehr viel zu lachen, denn Basser Torsten und Sängerin Sabine unterstrichen Tonelli’s Gesang durch pantomimische Gesten. Das fand ich irrsinnig komisch.
Als der „Albatros“ sich in die Luft erhob, war ich wirklich baff und zwar besonders wegen dem Gitarristen. Das Lied liebe ich sowieso. Ich denke, mit dem Stück haben sich Texter Norbert Kaiser und Komponist Ed Swillms damals selbst übertroffen und sie haben sich mit dieser Hymne ihr eigenes Denkmal für die Ewigkeit geschaffen. Der über die Meere fliegende Albatros ist ein Symbol für Freiheit und dieses Lied drückt für mich auch die Sehnsucht des Menschen nach Freiheit aus. Wobei der Text genug Spielraum für die eigene Phantasie und die persönliche Auslegung des Freiheitsbegriffes lässt. In diesem fast rocksinfonischen Werk kann man sich immer wieder verlieren. Was der Herr Rostenbeck von der Band P 70 beim „Albatros“ aus seiner E-Gitarre rausholte, war schlichtweg grandios. Das hatte wirklich Klasse. Daran hätte sich mancher Möchtegern-Super-Gitarrist ganz sicher verschluckt.
Doch der Saiten-Zauberer hatte sein Pulver noch lange nicht verschossen. Bei „Am Fenster“ drehte er noch einmal richtig auf und ließ seine Gitarre so großartig singen, jaulen und stöhnen, dass es einem förmlich den Atem verschlug. Joro’s legendäre Geige war in diesen Minuten vollkommen vergessen. Das war ein ganz besonderes Klangerlebnis, was man nicht alle Tage hat. bei „Auf der Wiese“ von Vroni Fischer und SILLY’s „Mont Klamott“ sang sich Sabine noch mal in die Herzen der Zuhörer. Mit einer Berliner Band (Pankow) begann die Mugge und offiziell sollte sie auch mit einem Song einer Berliner Band( Rockhaus) enden. Bei „I.L.D.“ legte sich die gesamte Band noch mal richtig ins Zeug. Die geplante Zeit war schon ein paar Minuten vorbei, die Band hatte schon ein Zeichen bekommen zum Ende zukommen. Aber eine Zugabe durfte P 70 dann doch noch geben. „Wie ein Fischlein unterm Eis“ war ein nachdenklicher Schlusspunkt und die Ehre, dieses Lied zu singen, hatte Sabine. Die Frau legte ihre ganze Seele in dieses Lied und ich bekam doch tatsächlich Gänsehaut in diesen Minuten. Der Beifall für die Band war nach diesem traumhaften Konzert mehr als verdient. Irgendwann werde ich sicher wieder mal „Nützt ja nischt“ denken und mich auf den Weg zu einem Konzert von P 70 machen. Mit dem Unterschied, dass ich jetzt aus persönlichen Erleben weiß, dass mich bei der Leipziger Kombo eine wunderbare musikalische Reise mit sympathischen Musikern durch meine Jugendzeit erwartet
Gruß Kundi
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