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KurtL am 28. April 2019 auf der KONVENT’A in Löbau
KurtL am 28. April 2019 auf der KONVENT’A in Löbau
in Konzertberichte 2019 und älter 07.05.2019 20:11von Kundi • | 3.250 Beiträge | 7335 Punkte
Es war Sonntagnachmittag. Da sollte man doch lieber auf der Couch liegen und später gemütlich am Kaffeetisch sitzen. Aber ich konnte wieder mal nicht hören und begab mich auf die Piste durch die schöne Oberlausitz. Mein blechverkleideter Motorkumpel CEEDrik brummte ganz verwundert vor sich hin als wir nachmittags und noch dazu am Sonntag zu einer Fahrt aufbrachen. Damit ich mein koreanisches Fortbewegungsmittel nicht zu sehr überforderte, zockelten wir aber gemütlich durch die schöne Oberlausitzer Gegend. Das war auch besser so, denn die sprichwörtlichen Sonntagsfahrer waren ja auch wieder unterwegs.
Während der Fahrt machte ich mir über Land, Leute und den Anlass dieser Fahrt so meine Gedanken. Ich bin bekanntlich sehr heimatverbunden, um nicht verwurzelt zu sagen. So einen Kerl bekommt man nicht auf Dauer von seiner heimatlichen Scholle weg. Aber was ist eigentlich Heimat und was ist Heimat ganz speziell in der Oberlausitz? Da ja Sonntagnachmittag war und ich der Kaffeetafel entflohen war, trank ich beim Nachdenken aber ab und zu einen Schluck aus meinem mitgeführten Thermokaffeebecher.
Die Oberlausitz insgesamt ist ja ein ausgesprochen schöner Landstrich mit Bergen, Tälern, Bächen, Flüssen und einigen regionalen Besonderheiten wie den Umgebindehäusern oder der Oberlausitzer Mundart. In diesem Landstrich, wo Sagengestalten wie Pumphut, Krabat, der schwarze Müller oder auch der legendäre Räuberhauptmann Karasek beheimatet sind, lässt es sich gut leben. Hier bin ich geboren und hier ist auch meine Heimat. Die blauen Berge und Steine des Lausitzer Berglandes, die Flusslandschaft der Spree, die vielen Teiche, die kleinen Dörfer mit den Umgebindehäusern, Städte wie Bautzen oder Zittau gehören für mich räumlich gesehen zur Heimat. Man kann hier wunderbare Wanderungen per pedes, mit dem Fahrrad, als Reiter oder anderwärtig unternehmen. Wanderrouten und Sehenswürdigkeiten gibt es haufenweise in der Oberlausitz. Das nahe Mittellausitzer Bergland lädt schon aus der Ferne sichtbar dazu ein. Aber das Gebirge interessierte mich diesmal nicht so, denn die Reise führte in östliche Richtung nach Löbau.
Aber Heimat ist für mich mehr. Heimat sind Land und Leute mit denen ich mich emotional eng verbunden fühle. Aber auch Geschichte, Traditionen und Märchen /Sagen gehören für mich dazu. Hier in der Oberlausitz fühle ich mich heimisch, wohl und geborgen. Ein dauerhaftes Verlassen der Heimat käme für mich nie in Frage. Meiner Meinung nach kann man auch nur eine Heimat haben.
Zur Heimat gehören aber auch die vertrauten Klänge der Sprache bzw. des heimatlichen Dialektes Insbesondere im Oberlausitzer Oberland wird beim Sprechen noch richtig gerollt und gequirlt (gerullt und gequirlt). Dabei leistet die Zunge Schwerstarbeit. Deshalb werden die Einwohner dort oben von uns auch scherzhaft Edelroller genannt.
Das beim Sprechen tief aus dem Rachen geholte und gerollte R ist Oberland sehr markant. Obwohl wir Flachlandoberlausitzer viele Begriffe und Wortschöpfungen der Oberlausitzer Mundart wie Abernmauke (Kartoffelmus), Teichlmauke (Kartoffelmus mit einer Pfütze klarer Fleischbrühe in der Mitte), nu/no (ja, ist klar oder ähnliche Bestätigung), Hitsche (Fußbank, kleiner Schemel), Tippl (Tasse oder kleiner Topf), Kumm oacke (Komm doch) verstehen und im Alltag selbst in der Sprache gebrauchen, ganz so schön rollen wie die da oben in den Bergen können wir nicht.
Dieses ganz markante Wortschöpfung oacke als Anhängsel an ein Verb als Aufforderung/Bitte (geh oacke = geh doch, lass oacke = lass das doch) ist hier genauso üblich und für den Dialekt kennzeichnend wie das Zusammenziehen von Wörtern (da simmer wieder = da sind wir wieder, das kömmer machen = das können wir machen.) Wenn hier von einer Huxt (oder auch Huchst) geredet wird, dann handelt es sich um eine Hochzeit. Kummt oack rei ist für uns kein Kauderwelsch, sondern eine liebevolle Aufforderung einzutreten.
Für Fremde klingt das alles sicher manchmal wie "Böhmische Dörfer", aber das ist gar nicht so verkehrt, denn einige Begrifflichkeiten haben sicher auch im nahen Böhmen ihren Ursprung. Die einen verstehen beim Oberlausitzer Singsang nur Bahnhof, für mich ist der Klang dieses Dialektes wie Musik und außerdem ist der Dialekt für mich auch ein gewaltiges Stück Heimat. Da wird unsereinem doch richtig warm ums Herz, besonders dann, wenn unser heimatliches Sprachgewirr tatsächlich auch noch mit realer Musik verbunden wird. Seit ich vor ein paar Jahren den Oberlausitzer Mundartrocker bzw. Liedermacher KurtL entdeckt habe, habe ich dieses herzerwärmende Gefühl immer öfter. Genau wegen dieses Mannes war ich an diesem Sonntagnachmittag auch unterwegs.
Im Löbauer Messe- und Veranstaltungspark fand nämlich am 27. und 28. April 2019 die jährliche Gewerbemesse KONVENT’A. Das ist die größte Messe dieser Art in der gesamten Region bei der ca. 200 Aussteller und ca. 20000 Besucher aufeinandertreffen. Der gesamte Park mit seiner großen veranstaltungshalle, der Blumenhalle, den großzügigen Freiflächen und dem angrenzenden Parkplatz wurde ja anlässlich der Landesgartenschau 2012 auf dem alten Industriegelände einer Zuckerfabrik errichtet. Mehr als 100 Jahre wurden hier Zuckerrüben verarbeitet bis das Werk kurz nach der jahrtausendwende stillgelegt wurde.
Die Veranstaltungshalle mit ca. 4000 Stehplätzen gilt als die größte Halle der Region. Sie ist auch ganz gut ausgelastet. Ungefähr 100 Veranstaltungen Messen, Flohmärkte, Vorträge, Ausstellungen, Konzerte) finden hinter den Türen der Halle jährlich statt. Das einzige Manko dabei ist, dass die dort auftretenden Künstler mir sehr oft gegen den Strich gehen. Bei Namen wie Nick P., Die Paldauer, Hansi Hinterseer oder Semino Rossi rollen sich mir nun mal die Fußnägel hoch. Das einige Konzert, welches ich bis heute in der Halle besuchte, war das 1. Funmetal-Festival mit J.B.O., VICKI VOMIT und KURTL vor einigen Jahren. Open air an der Blumenhalle durfte ich aber auch schon BERLUC und electra erleben. Aber, liebe Leute vom Veranstaltungs- und Messepark Löbau in Sachen guter Rockmusik geht bei euch noch was. Mit so einer Halle könnt ihr doch auch noch viele gute Bands anziehen.
An diesem Sonntagnachmittag war Hochbetrieb bei der KONVECT’A. Die vorhandenen Parkplätze und umliegende Straßenränder waren hoffnungslos überfüllt. Es blieb mir nichts Anderes übrig, als meinen Blechesel mal wieder ziemlich „gebührenriskant“ abzustellen. Aber es ist am Ende gut ausgegangen.
Auch an den Kassen bildeten sich lange Besucherschlangen. Der Eintritt war mit 5 Euro jedoch ziemlich preiswert. Ich hatte für die ganzen Ausstellobjekte und Fressbuden keinen Blick. Durch die Parkplatzsuche war mein Zeitpuffer nämlich ziemlich gegen Null geschrumpft. Auf der Bühne vor der Blumenhalle schien sich so eine Schlagerbarde für länger tummeln zu wollen. Bei einem Blick in die Halle selbst wurde mir dann klar, dass es dort auch noch irgendwo eine Bühne geben musste.
Diese war zwar sehr klein, und technisch nicht sehr komfortabel aber ausreichend mit Technik ausgestattet. Auf ein paar ordentliche Scheinwerfer hat der Veranstalter gleich ganz verzichtet. Das vorhandene Deckenlicht musste ausreichen.
KurtL aus der Oberlausitz (bürgerlicher Name Steffen Lindner) bestritt an diesem Nachmittag hier einen Soloauftritt. Leider sollte es nur ein kurzes etwa halbstündliches Gastspiel werden.
Ich mag Steffen Lindner. Er ist ein leidenschaftlicher Musiker und ein angenehmer Gesprächspartner. Seine Kunstfigur KurtL liebe ich sogar.
Wenn Steffen Lindner im originalen Sporett-Trainingsanzug aus der DDR, mit Turnschuhen, Mütze und mit Brille auf die Bühne geht, ist er immer wie verwandelt. Er geht voll in der KurtL-Rolle auf. In diesen Minuten wird aus Steffen ganz einfach Kurtl. Das ist fast wie Magie.
Kurtl ist hier ja so ein Kosename für Kurt wie auch Kurtchen. Da mein Großvater mütterlicherseits Kurt hieß, waren mir beide Kosenamen schon als Kind vertraut. Kurtl mache bitte mal dies, Kurtchen mach doch bitte mal jenes hörte ich damals ziemlich oft bei uns im Dorf. Schon deswegen ist jede Begegnung mit KurtL aus der Oberlausitz für mich auch immer eine Zeitreise in meine eigene Vergangenheit.
Aber auch das abgefahrene Bühnenoutfit des Kollegen Lindner treibt mich immer wieder in die Vergangenheit. Da tauchen sofort Bilder aus meiner Kindheit und Jugend vor meinem geistigen Auge auf, denn Ende der 70er bzw. Anfang der 80er Jahre lief mein Papa in seiner Freizeit gerne in dieser Verkleidung herum und mit ihm taten das auch viele seiner Freunde und Kollegen.
Ich sehe mich plötzlich wieder als Jüngling am Stubenfenster stehen, um meinem Herrn hinterher zu sehen, wie er in seiner Freizeituniform für männliche DDR-Bürger mit seinem Körnerfuttereimer für seine geliebten Sittiche in der Hand gemächlich in Richtung Garten schlenderte. Wenn man seinen Erzeuger austricksen wollte, musste man ihn ja immer Blick haben. Mein alter Herr war schließlich auch nicht auf der Wurstsuppe daher geschwommen und ich musste damals höllisch aufpassen, dass er mich nicht zu oft bei irgendwelchen riskanten oder untersagten Tätigkeiten erwischte. Ich war ja kein leichtes und braves Kind.
Ich finde diese Erinnerungen an alte Zeiten heute schön und auch deswegen genieße ich solche Konzerte.
Der Mann im Sporett –Trainingsanzug veranstaltete am hellerlichten Nachmittag seine eigene Party und das umstehende Partyvolk hing begeistert an seinen Lippen. Mit Charme, Witz, Musikalität und Spielfreude hatte er den Laden jederzeit im Griff.
Sporett war übrigens damals in einem Land vor unserer Zeit gängiger Markenname für Sportbekleidung eines Betriebes der DDR und wurde als Abkürzung von sportlich und adrett gebildet.
Aus seinen mittlerweile mehr als 100 Songs in Oberlausitzer Mundart suchte KurtL sich einfach ein paar Kracher heraus, spielte sie mit Liebe und großen Einsatz für sein Publikum. Ich bin mir nicht sicher, ob der Mann sich an eine Setliste hielt oder ab er seine Wahl diesmal aus dem Bauch heraus und situationsbedingt traf. Stimmig und rund war das Gesamtergebnis trotzdem, aber leider viel zu kurz. Steffen Lindner selbst wird das sicher auch bedauert haben, denn der Mann läuft je länger eine Mugge geht, immer mehr zu Höchstform auf. So bekommt er auch die Zuhörer nach dem sogenannten Danone-Prinzip (irgendwann bekomme ich sie alle) Im Verlaufe eines Auftrittes nach und nach auf seine Seite. Er ist dabei nicht nur Stimmungsmacher, sondern ein Stimmungsgarant.
KurtL hatte diesmal nicht viel Zeit für seine Show, aber die ihm gebilligten Minuten nutzte er optimal aus. Am Ende handelte er der Programmführerin, die mit der anschließenden Modenschau schon in den Startlöchern stand, noch flink eine Zugabe aus dem Kreuz. Dabei handelte es sich um den allseits bekannten JANIS JOPLIN-Klassiker „Mercedes Benz“, welcher in unserer Muttersprache interpretiert wurde.
Lindner quatschte und sang in Oberlausitzer Mundart, dass es die reine Freude war. Natürlich erntete er dafür so manchen Publikumslacher. Der Kerl singt nach meinem Dafürhalten tatsächlich echte und ehrliche Volks- und Heimatlieder. Die verlogene „Servus, Grüezi und Hallo – Patrona Bavaria – schöner blauer Himmel, Berge und Sonnenschein – Herzilein – Anton aus Tirol – Scheinwelt“ macht Steffen Lindner nicht mit.
Lindners KurtL singt lieber auch mal von den Problemen, Sorgen und Nöten der Menschen. Ein schönes Beispiel dafür ist das Lied „A Zug a Jennys Treen“. Darin erzählt er die Geschichte eines kleinen Mädchens, dass im Keller an der Eisenbahnplatte von besseren Zeiten träumt. Missstände und Ungerechtigkeiten des Lebens ist da die Rede. Es geht um eine zerrüttete Familie, die weinende Mutter und Ehefrau, Arbeitslosigkeit und Alkoholismus des Vaters, dem Bruder, der sich von den Rechten einwickeln lässt. Diesen Song spielte er auch an diesem Nachmittag in Löbau.
Vielleicht fragt ihr euch jetzt, ob man bei Liedern mit solch ernsten Themen überhaupt Spaß haben kann/darf und darüber mal lachen kann. Da sage ich mal philosophisch, dass das Leben schon ernst genug ist und man ruhig auch mal über diesen ganzen Lebensmist lachen soll. Das hilft der Seele und dem Herz. Steffen tut als rockender KurtL auch alles dafür, dass die Besucher Spaß haben und sich wohlfühlen. Es war für mich auch interessant von meinem Sitzplatz aus den Zuhörern ins Gesicht zu schauen und ihre Reaktionen zu erleben. Allerdings musste man dazu die Momente nutzen, wenn nicht ganz so viele videoaufzeichnende Smartphones in die Höhe gehalten wurden.
Der Song „Wenn’s itze Frühling wird“ bringt einem eher zum Schmunzeln, aber auch hier verstecken sich zwischen den Zeilen menschliche Schicksale. Der Text besteht aus einer Aneinanderreihung von gestorbenen, verunfallten Leuten, die das Frühjahr nicht mehr erlebt haben. Das Lied muss man dazu aber hören, darüber hier zu schreiben, bringt die Grundstimmung nicht rüber.
Diese Mugge hat wieder mal ordentlich gefetzt, war aber leider viel, viel zu kurz. Bei einem Musiker und Entertainers vom Schlage eines Steffen Lindner ist aber selbst die normale Konzertlänge noch viel zu wenig. Der Mann hat einfach Klasse und Herz.
Nach dem Minikonzert konnten wir noch schnell ein paar Worte wechseln, aber der Zeitdruck und die laute Umgebung würgten dieses Gespräch ziemlich schnell ab.
Aber so schlimm war das auch nicht denn beim nächsten Mal sind die Rahmenbedingungen für Mugge und Quatscherei bestimmt wieder besser.
Gruß Kundi
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