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Benefizkonzert mit BOB GELDOF für die Flutopfer von Dresden
Benefizkonzert mit BOB GELDOF für die Flutopfer von Dresden
in Konzertberichte 2019 und älter 19.06.2013 19:45von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
Bob Geldof – zwei Stunden lang Vollgas ( 18.06.2013 )
Rock’n’Roll war ein einst großer frecher Zirkus und Rockmusik ist inzwischen eine Industrie, die sich zum großen Teil selbst vermarktet und sogar an den Börsen agiert. Rockmusik als Lebensstil findet man bei den alten Hasen kaum noch und die Jungen sehen sich selbst gleich nach dem ersten Gig oder Pups auf der Karriereleiter steil nach oben. Die Gabe oder Einstellung, ein Revoluzzer sein zu wollen, sich trotzig mitzuteilen und schräg gegen den Strom zu musizieren, findet kaum noch statt. Nur einige der jungen Wilden, wie dieser JOHN HOUX aus den USA zum Beispiel, leben noch sich selbst und einige der etablierten Stars können es zum Glück auch nicht lassen. Die versuchen, sich immer mal wieder neu zu erfinden, um der Routine frische Kreativität entgegen zu setzen und sie nutzen außerdem ihre Popularität „frech“ aus, um still oder manchmal auch laut, Gutes zu tun. Einer von diesen widerborstigen „Punkern“ ist Sir BOB GELDOF. Zumindest sehe ich die ehemalige „Ratte“ aus irgendeiner Boom - Town in so einem Licht und seit er damals mit MIDGE URE von ULTRAVOX dieses wunderbare „Do They Know It’s Christmas“ schrieb und es von Weltstars singen ließ, wurde diese Seite auch öffentlich und beim legendären LIVE AID auch weltweit sicht- und unüberhörbar. Auch LIVE-8 ging in diese Richtung. BOB GELDOF hat Ideale, die er lebt, und stemmt sich mit ihnen gegen die Armut in der dritten Welt sowie für deren Entschuldung. Der Mann ist ein Star, ein Sir auch und einige nennen ihn „Loudmouth“ – Großmaul -, weil er selbst vor den politischen Größen dieser Welt seine Klappe auch nicht halten kann und will. Vor allem aber ist er ein umtriebiger Unruhegeist, der noch mehr Beachtung für sein soziales Engagement bekommen sollte, weil es so wichtig ist. Und dann gibt es ja noch den Musiker GELDOF, den Rocker, den Weltstar ….
Während der Punk – Revolution sind mir, neben einigen anderen auch, die BOOMTOWN RATS mit ihrem Song vom „Montag, den sie nicht leiden konnte“ im Gedächtnis haften geblieben und später saß ich vor der Glotze, um LIVER-AID, initiiert von BOB GELDOF, im Wembley Stadion, staunend und auch ein wenig neidisch, mitzuerleben. Mein Freund David schickte mir danach den offiziellen Kalender vom Event mit einer gedruckten Unterschrift vom Initiator GELDOF darauf. Was war ich stolz, so ein Teil mein Eigen nennen zu dürfen! Hätte mir damals jemand angekündigt, ich würde genau diesem Mann fast drei Dekaden später in einem Klubkonzert erleben und mir den Kalender original signieren lassen können, hätte ich ihm wahrscheinlich nur den Vogel gezeigt. Aber es ist genau so gekommen.
Die TANTE JU ist, trotz der schwülwarmen Luft drinnen und draußen, gut gefüllt. Eine knappe Stunde lang hatte die Band TOTOROCK, mit einer hektischen Mischung irgendwo zwischen Aerosmith und Toto, sowie einer Frauenstimme nah, an Ingo Rumpf und manchmal der Power einer Tamara Danz, versucht, den Club TANTE JU noch mehr aufzuheizen. Vergebliche Liebesmüh, auch wenn mir die ersten beiden Songs der Band, „Girl Goodbye“ sowie „Home Of The Brave“, ganz gut gefallen haben. Es ist sicher eine Ehre und Herausforderung gleichermaßen, vor so einem Weltstar seine musikalische Visitenkarte abliefern zu dürfen, aber eigentlich will ich nur endlich BOB GELDOF sehen, der, so wie man am Rande erfahren konnte, gerade mit dem Flieger aus Russland eingeflogen ist.
Plötzlich wird es eng an der Kante, Klatschen und Jubelrufe von hinten und dann steigen die Musiker keinen Meter von mir entfernt, die Treppe nach oben zur Bühne. In der JU müssen sie alle erst einmal quer durch die Massen, die den Weltstar BOB GELDOF schon mal vorab feiern. Der schnappt sich oben nur seine Gitarre und dann beginnt der Linkshänder ganz gemächlich und leise in das Jubeln hinein die Saiten zu zupfen. Eigentlich hätte ich eher gedacht, der würde seinen zynischen Überhit „The Great Song Of Indifference“ (Das großartige Lied der Gleichgültigkeit) aus seinem Album „The Vegetarians Of Love“ (Vegetarier der Liebe) von 1990, hoffentlich als Zugabe spielen, aber nein, der grauhaarige Rocker stellt es an den Beginn und fordert durch diese, beinahe zaghafte Einleitung die volle Aufmerksamkeit aller heraus. Verdammt clever gemacht, wie er leise die ersten Worte über die Köpfe flüstert: „I don’t mind if you go …“ (Es macht mir nichts, wenn du gehst) ... na, na, na. Schon dieser erste Bruch, von ganz laut zu ganz leise, hat mir Gänsehaut beschert, bis zu dem Moment, da er zynisch singt, „Es macht mir nichts, wenn Kultur bröckelt“ und exakt danach, ein kleines Zeichen mit dem Finger und von jetzt auf gleich bricht die rockende Gewalt von der Bühne herunter. Der Mann weiß ganz genau, was er uns (und anderen) sagen will. Ich bin aus dem Stand hellauf begeistert.
Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Er lässt „A Sex Thing“ aus „The Happy Club“ (1992) folgen und brettert uns anschließend „Systematic 6-Pack“ sowie Dazzled By You“ (Geblendet von dir), vom aktuellen Album „How To Compose Popular Songs That Will Sell“ (Populäre Lieder zu schreiben, die sich verkaufen lassen), förmlich um die Ohren. Live klingen diese Lieder für mich, obwohl durch locker zwanzig Jahre voneinander getrennt, wie aus einem einzigen Guss und einen deutlichen Zacken schärfer, als von den Platten, um nicht zu sagen „rattenscharf“.
Mir rinnt inzwischen ein Rinnsal aus dem Nacken den Rücken herunter und BOB GELDOF, der nicht einen Moment Ruhe zu kennen scheint, rinnt der Schweiß ebenfalls von der Stirn. Er singt sich durch seine alten Hits und die neuen Lieder, die vielleicht Hits werden könnten. Zwischendurch lässt er sich hinreißen, uns die Geschichten zu manchen Song zu erzählen und entschuldigt sich, dies alles nur in englisch machen zu können. Nun weiß ich endlich mehr über die Entstehung von „Banana Republik“ und welche Zusammenhänge sich hinter „Scream In Vain“ (Vergeblicher Schrei) vom sarkastischen Album „Sex, Age & Death“ (2001) verbergen. Das vom Urheber erklärt zu bekommen, ist mal eine völlig andere Erfahrung.
Inzwischen scheint die alte TANTE JU zu kochen und wenn man den Faden weiter spinnt, dann sind die Musiker auf der Bühne, deren Namen ich mir nicht gemerkt habe, längst gar. Der schwergewichtig lächelnde Geiger vor mir, hat, so wie GELDOF auch, schon längst sein Jackett beiseite gelegt und der Schlagzeuger schüttet sich ein Getränkt nach dem anderen in den Hals, ohne auch nur scheinbar aus dem Rhythmus zu kommen. Tief im Hintergrund blickt der Keyboarder beinahe unbeteiligt herunter, während der Gitarrist auf der anderen Seite der Bühne eine Einlage nach der anderen fabriziert. Man merkt, hier agiert eine bestens aufeinander eingespielte Profi-Kapelle und nichts, aber auch wirklich gar nichts, lässt den Verdacht aufkommen, dies hier wäre eine Show. Alles scheint irgendwie spontan aus dem Bauch oder aus den Knochen zu kommen – Rock’n’Roll oder Punk, keine Ahnung, aber viel Biss und einfach nur PARDON – naturgeil, „born in a crossfire hurricane“, würden die Stones sagen.
Aus den Zeiten mit den BOOMTOWN RATS spielen sie uns „When The Night Comes“, „Banana Republik“ und dann natürlich auch die Tragödie eines kleinen Mädchen, die Schultern zuckend auf die Frage „Warum?“ nur antwortet: „I Don’t Like Mondays“ (Ich mag die Montage nicht). Überhaupt stecken die Lieder von Sir BOB GELDOF voller Wahrheiten, Anspielungen und sehr persönlicher sarkastischer Kommentare zum Zeitgeschehen, den Finger tief in den Wunden der Gesellschaft. Nichts und niemand war oder ist vor seiner spitzen Zunge sicher und GELDOF wird, ganz im Gegensatz zu mach anderem aus meinem Umfeld, von vielen gehört. Das ist einer der Unterschiede.
BOB GELDOF und seine Band lassen es heftig krachen, frönen dem Rock’n’Roll und haben sichtlich Vergnügen an dem, was sie machen. Manchmal lassen sie die Songs ineinander fließen oder dehnen sie mit ihrer Spielfreude und geschickten Improvisationen, bei denen sie gleich mal „Radar Love“ von Golden Earring zitieren, sehr zur Freude der Fans in den ersten Reihen, in die Länge. Dann tobt der stämmige Geiger mit seiner Violine über die Bühne, der Gitarrist lässt seine Saiten krachen und jaulen und Sir Bob stellt sich, versunken in seine Musik, zu uns ganz vorn an die Kante. Schön, dass ich das noch erleben darf. Für Rock’n’Roll ist man nie zu alt, weder auf der Bühne, noch davor.
Noch einmal kommen mit „How I Roll“ und Mary Says“ zwei der neuen Songs zu ehren und wieder stelle ich fest, wie harmonisch sie zu den älteren passen. Ein Weltstar präsentiert uns singend seine Weltsichten und macht damit vielen „alten Säcken“, auch den kreischenden Ladies an deren Seite, einen Riesengefallen. Da stehen wir alle, Männlein wie Weiblein, schwitzend und nicht übel riechend dicht gedrängt vor der Rampe und grinsen uns gegenseitig unsere Erinnerungen in die Gesichter, während BOB GELDOF & Band von oben zum finalen Schlag ausholen. Sie heizen uns mit dem „Rat Trab“ (1978) der BOOMTOWN RTAS noch einmal richtig ein und sollte jetzt noch jemand irgendwo einen trockenen Flecken gehabt haben – jetzt ist alles klitschenass. Die Herren vor uns erfreuen sich selbst noch einmal mit langen Instrumentalpassagen, lassen Geige, Gitarre und ihre Füße tanzen, als wäre dies die allerletzte Möglichkeit, dies tun zu dürfen. Die JU tobt, die Band spielt an der Kante und von unten strecken sich ihnen eine Meute von Digi-Knipsern entgegen. Etikette – Fehlanzeige, nur die blanke Lust am Rock’n’Roll und die Gier nach mehr und mehr. Deshalb schenken sie uns noch das „Silly Pretty Thing“ als Zugabe und damit den Hinweis auf das aktuelle Album, das ich hiermit jedem, der sich noch in Musik fallen lassen möchte, wärmstens empfehlen kann.
Das waren reichliche zwei Stunden praller Rock’n’Roll, von Beginn an nur Vollgas und voll zynischer Kommentare, ohne die Rockmusik ein zahnloser Säbelzahntiger im Schlafanzug auf dem Balkon einer Nobelvilla, deutschem Schlager-Pop & Co. nicht unähnlich, wäre. Nein, ich will es direkt, voll auf die Zwölf und wenn es sein muss, auch mal in die Eier, wie mein Kumpel Ulli, der Status-Quo-Junkie, gern sagt. Einen solchen Abend habe ich gerade, lustvoll und in Schweiß gebadet, erlebt ….
…. und damit erst gar nicht jemand auf die Idee kommt, das soziales Engagement des Weltstars wäre nur ein Image von vielen – BOB GELDOF und die TANTE JU machten aus dem Konzert gemeinsam eine Benefiz-Veranstaltung für die Opfer der Flut in Dresden. GELDOF verzichtet auf einen Teil seiner Gage und die JU auf einen Teil ihrer Einnahmen, um sie Betroffenen in Dresden - Pieschen oder auch in Laubegast zukommen zu lassen. Hier schließt sich dann für viele der Kreis und Worte werden zu Taten. DANKE, Sir Bob, und DANKE auch, Tante JU. Ein herrlicher Abend mit vielen schönen Liedern, die sich ganz sicher verkaufen lassen.
Für mehr Impressionen seht bitte hier: http://www.mein-lebensgefuehl-rockmusik....ie%20Tante%20Ju
www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
RE: Benefizkonzert mit BOB GELDOF für die Flutopfer von Dresden
in Konzertberichte 2019 und älter 19.06.2013 20:39von Mary • | 327 Beiträge | 726 Punkte
Das finde ich groß, "Tante Ju" spendet und hat doch selbst durch den Brand noch zu "knabbern", damit alles wieder in Ordnung ist.
Ich sage mal für die Betroffenen DANKE!
Und Dir lieber "HH", danke für diesen Bericht.
Wer mich kennt, weiß, von derartigen "Danksagungen" für Geschriebenes halte ich eigentlich nichts, aber hier muss ich es einfach tun!
Musik verbindet, macht Freude und schafft Möglichkeiten...
"Ihr lacht weil ich anders bin. Ich lache, weil Ihr alle gleich seid."
Kurt Cobain
RE: Benefizkonzert mit BOB GELDOF für die Flutopfer von Dresden
in Konzertberichte 2019 und älter 20.06.2013 04:32von Kundi • | 3.250 Beiträge | 7335 Punkte
Großartiger Bericht, lieber HH. Ich habe ihn mit großem Interesse gelesen.
Auch wenn die musikalischen Leistungen dabei etwas in den Hintergrund treten, vor Sir Bob und seinem sozialem Engagement im Allgemeinen ziehe ich meinen Hut.
Dass die Betreiber von Tante JU und Geldof aus dieser Mugge gemeinsam kurzerhand ein Benefiz für die Opfer der Flut machten, ist beispielhaft und hoffentlich auch ein Signal für andere.
DANKE, Bob Geldof und DANKE den Betreibern von Dresdens besten Liveclub "Tante Ju".
Gruß Kundi
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