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BUCKLEY's CHANCE live im Schlosstheater Ballenstedt am 6.5.2018
BUCKLEY's CHANCE live im Schlosstheater Ballenstedt am 6.5.2018
in Konzertberichte 2019 und älter 09.05.2018 17:06von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
Buckley’s Chance im Schlosstheater Ballenstedt (06.05.2018)
In Australien erzählt man sich die Geschichte von einer wahren Begebenheit: Im August 1802 wurde der Kriegsheimkehrer William Buckley in England wegen Kleiderdiebstahls zu 14 Jahren Straflager in Australien verurteilt. Er kam nach Port Phillip und schaffte es, von dort zu fliehen und 32 Jahre unter den Wathaurong, die in ihm eine Reinkarnation sahen, zu leben, weil er die Sprache, Gewohnheiten und Bräuche des Aborigines-Stammes annahm und sogar seine Muttersprache vergaß. Dies war seine, Buckley’s letzte Chance, zu überleben und irgendwann wieder in sein früheres Leben zurückzukehren sowie letztendlich auch begnadigt zu werden. Seither steht die Wortkombination „Buckley’s Chance“ in Australien für (eigentlich) „absolut keine Chance“ mehr zu haben. Das „Verrückte“ daran ist, dass ich eine Freundin habe, die in Tasmanien, in Australien aufgewachsen ist, also dort, wo das alles geschah und die heute in Halle lebt. Aus Halle kommt auch die Band namens BUCKLEY’s CHANCE, deren Name genau diese Story aufgreift. Ich liebe solche Kuriositäten, weil sie zeigen, wie klein diese Welt ist und dass wir alle, die wir in ihr leben, auf wundersame Weise miteinander verbunden und eigentlich eine große menschliche Familie sind. Ob Heimischer, Einwanderer oder Flüchtling – wir alle sind Menschen!
Als ich vor Jahresfrist den mir völlig unbekannten Gitarristen ALEX WURLITZER eher zufällig live sah, blieb mir staunend die Spucke weg. Da spielte einer völlig unaufgeregt mit dem Instrument, als wäre er mit ihm verwachsen. Er zupft, er reißt, er streichelt und klopft sein Instrument sowie dessen Saiten spielerisch und mit einer Perfektion, die faszinierend ist. Damals im Indianermuseum wusste ich, das möchte ich wieder erleben und machte mich schlau. So entdeckte ich eine Band, deren Anspruch dem entspricht, wie ich mir gute und handgemachte Musik vorstelle. BUCKLEY’S CHANCE aus Halle mixen jene Zutaten in einem Konzertprogramm, die auch mir emotional sehr nah sind: Blues, Folk, Bluegrass plus Country und das Ganze mit ausgewählten Songperlen jener großartigen Songschreiber, die auch meinen Musikgeschmack prägten. Schade nur, dass dieses Projekt, und andere, in den vergangenen Jahren oft von mir unbemerkt blieben oder ich einfach nicht nah genug dran war. Das ist der Grund, weswegen Schloss Ballenstedt mein Ziel ist.
Wieder stehe ich vor dem Schlosstheater in Ballenstedt. Hier verbirgt sich eine der ältesten Bühnen in Deutschland. Eröffnet im Juni 1788 als Hoftheater, bietet es heute einer Vielzahl von unterschiedlichen Künstlern Möglichkeiten, sich zu präsentieren und einem interessierten Publikum die Chance, vielleicht einen Abend zu erleben, der wegen seines einmalig wirkenden Ambientes in Erinnerung bleiben wird. Steht man davor, ahnt man noch nicht, was für ein Kleinod man gleich betreten wird und wie intensiv die Atmosphäre einem die Sinne verzaubern kann. Die Nachmittagssonne taucht diesen Ort in grelles Licht und ich folge meiner Neugier nach drinnen, um dort meine erste Chance wahrzunehmen.
Von der Bühne prangt ein großes Banner mit dem Namen der Band, davor das Instrumentarium. Die Theaterklingel ertönt zum letzten Mal, das Licht erlischt und eine Gitarre beginnt ihr lockendes Spiel, während die Sängerin ans Mikrofon tritt und singt. Von da an bin ich wie elektrisiert von dem, was ich zu hören bekomme. Spätestens als die alte irische Volksweise von „Arthur McBride“ erklingt, die ich in der Version von Bob Dylan kenne, bin ich fasziniert von der Art und Weise, wie die Musiker an solche Kompositionen herangehen, um sie zu ihrem eigenen Ding zu machen. Doch ehe ich länger grübeln kann, spielt ALEX WURLITZER auf dem 5-String-Banjo den „Blackberry Blossom“ und erinnert mich mit seinen Fingerfertigkeiten daran, dass er mich hierher gelockt hatte. Noch größer wird mein Staunen, als die Sängerin REBECCA DIDT, eine geborene Engländerin, eine alte Nummer von Glenn Miller von 1941 angekündigt und dabei ziemlich süffisant auf jenen deutschen Interpreten verweist, der „Catanoga Choo Choo“ rund 40 Jahre später zu einem Hit machte. Was ich hier von BUCKLEY’s CHANCE zu hören bekomme, ist allerdings von all dem weit entfernt und bekommt im Schlosstheater Ballenstedt einen fetzigen Country & Swing–Stempel aufgedrückt. Da weiß ich, dass sich der Weg hierher gelohnt hat.
Wenig später trifft sie mich mit ihrer Version von „If I Needed You“ mitten ins Herz. Diesen Song von Towns Van Zandt liebe ich von Emmylou Harris gesungen. Hier auf der Bühne macht ihn REBECCA zu ihrem eigenen. Man spürt deutlich, dass sie in Englisch nicht nur singt, sondern auch in dieser Sprache fühlt und genau das macht die Ausstrahlung des ganzen Abends so besonders. Da stimmt jede noch so kleine Nuance und Phrasierung, jedes sprachliche Detail hat seine richtige Betonung und die dazu passende Mimik oder Bewegung. Gemeinsam mit dem wirklich exzellenten und betont ruhigen Spiel von ALEX auf den Gitarren oder dem Banjo entsteht eine ganz besondere Symbiose. Bei Liebesliedern wie „If I Needed You“ sieht man im Publikum Augen glänzen und plötzlich gibt es einen Ruck. Von der Gitarre kommen ruppige Akkorde und auf einmal ist Bewegung im Saal. Den „Summertime Blues“ gibt es in ganz unterschiedlichen Varianten, doch BUCKLEY’s CHANCE orientieren sich am Original, so wie Eddie Cochran ihn 1958 eingespielt hatte. Die Mischung aus Blues und Rock’n’Roll verfehlt auch noch sechs Jahrzehnte später ihre Wirkung nicht und lässt den kleinen Theatersaal beben.
Diese Band hat Freude daran, mit einer außergewöhnlichen Songauswahl und Instrumentalstücken so ein Konzertprogramm zu gestalten. Mit MAGDALENA WURLITZER steht sogar eine klassische Geigerin auf der Bühne. Sie präsentiert uns mit der Nyckelharpa ein besonderes Instrument aus Schweden und spielt darauf ein Tanzstück mit dem seltsam klingenden Namen „Gaälsbö Jonas Polka“. Die Saiten des Bass zupft PETER HÄSELER und bildet mit dem Gitarristen und Bandgründer MICHAEL PROSCHEK, der auch Mandoline spielt, so etwas wie eine dezente Rhythmusgruppe. Die außergewöhnliche Besetzung erzeugt ein fein gewebtes Klangbild, in dem sich unterschiedlichste Stile wiederfinden. Auch wenn fast alles auf REBECCA DIDT (Gesang) und ALEX WURLITZER (Gitarre, Banjo) zugeschnitten scheint, diese Band besticht durch ihre Homogenität. Da kann man es sich auch leisten, mit „Schöner fremder Mann“ eine steinalte Schlagernummer von Connie Francis einzubauen, ohne dass ein Stilbruch daraus würde. Jedenfalls erlebe ich in der Pause einige Damen, diese Melodie leise vor sich hin summend.
Wie harmonisch alte und neuere Songs, nacheinander gespielt, zusammenpassen können, erleben wir als auf den Klassiker „New Railroad“ die Fleetwood Mac–Nummer „Never Going Back Again“ folgt und darauf „Big Rock Candy Mountain“, ein alter Folk-Song aus den 1920er Jahren, mit einhundert Jahren auf dem Buckel. Wieder überraschen mich diese Musiker, wie sie jeder Komposition jeweils ihre Ideen überstülpen, ohne sie dabei zu verbiegen. Das ist jedes Mal eine kleine Überraschung und für mich ein Genuss, REBECCA „If I Could Be There“ von Emmylou Harris singen zu hören. Ich sitze oben im Rang und könnte bei dieser Stimme dahin schmelzen und als wäre das nicht schon eine Höhepunkt, lassen sie eine tolle Version von Bob Dylan’s „Don’t Think Twice (It’s Allright)“ von 1963 folgen, wobei ALEX wieder mit einem wundervollen Solo auf der Gitarre glänzt. Die Leute im Saal sind begeistert, ich bin es auch und lasse mich in den nachfolgende Slow-Blues „If Love Was A Train“ fallen. Und wieder sind es das Gitarrenspiel und diese charismatische Stimme, die dem Song zu besonderem Glanz verhelfen. Es ist einfach faszinierend, diesem Mann beim Spiel auf die Finger zu sehen. Respekt und Kompliment!
Also, ganz ehrlich: Selten habe ich eine derart bunt durcheinander gewürfelte Songauswahl erlebt und noch seltener war das alles in sich so stimmig, wie bei diesem Nachmittag mit BUCKLEY’s CHANCE. Da folgt tatsächlich Swing auf Bluegrass auf Blues und „Take It Easy“ klingt ebenso einfühlsam, wie kurz darauf „Johnny Be Goode“ rockig von der Bühne, wie aus einem einzigen Füllhorn, rauscht. Großartig ist zu kurz gegriffen, aber beeindruckend ist das Konzert allemal, zumal tatsächlich alles „real hand made“ und authentisch daher kommt. Die beiden Damen und drei Herren verbeugen sich und spielen noch einen Jig als Zugabe sowie eine feine Hommage an Leonard Cohen mit dessen „Hallelujah“. Auf diese Weise verabschieden sie sich, berühren mich tief innen und machen mich glücklich.
Der Nachmittag ist ein schönes Erlebnis geworden. Das Schlosstheater Ballenstedt empfing mich mit Sonnenschein, eine Engländerin hat mir die wundersame Geschichte von William Buckley erzählt und ich durfte einer feinen Songauswahl aus mehreren Jahrzehnten und echt von Hand gemacht lauschen. Wieder draußen, empfangen mich die Abendsonne und der Duft einer Region, die mich langsam aber sicher in ihre Arme schließt. Es gibt hier noch viel zu entdecken, Natur und Musik gleichermaßen und durch beide, so kommt es mir vor, wird mir Zeit und Lebensqualität geschenkt. Inzwischen habe ich auch gelernt, für all das sehr dankbar zu sein und wenn möglich, etwas davon weiterzugeben.
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