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THE RUSSIAN DOCTORS 24.02.2017 Waldbadhaus Weixdorf
THE RUSSIAN DOCTORS 24.02.2017 Waldbadhaus Weixdorf
in Konzertberichte 2019 und älter 27.02.2017 20:21von Kundi • | 3.250 Beiträge | 7335 Punkte
Am zurückliegenden Freitagabend quälte mich der Muggenentzug, denn die letzte Kulturveranstaltung mit Beschallung in Form von Musik lag schon eine Woche zurück. Abhilfe konnte nur ein neuerlicher Konzertbesuch schaffen und dieser führte mich an einen für mich neuen Veranstaltungsort. Ganz im Dresdner Norden, wo die sächsische Landeshauptstadt bereits ländlich wird, liegt Weixdorf. In der Vergangenheit war ich bzw. waren wir schon zu Veranstaltungen im örtlichen Dixiebahnhof, aber diesmal nannte sich mein Fahrziel Waldbadhaus. Bei der Dunkelheit war vom Waldbad freilich nichts zu sehen, aber bei der Kälte stand mir der Sinn sowieso nicht nach Gewässern. Ich parkte meinen CEEDrik nur einen Steinwurf vom markanten Backsteinhaus des Waldbades entfernt und verzog mich dann schnellen Schrittes in die geheizten Räumlichkeiten, welche von einer Firma namens Feiermanufaktur unterhalten und betrieben werden.
Für den wirklich schmalen Kostenbeitrag von 10 Euro erwartete die Gäste an diesem Abend nicht nur so ein Konzert. THE RUSSIAN DOCTORS aus Leipzig waren für den musikalischen Teil vorgesehen und das alleine versprach schon jede Menge Fez. Die beiden falschen russischen Doktoren sind ja bekannt für ihren zum Teil schwarzen Humor, für ihre ungewöhnlichen Gute-Laune-Songs sowie Ulk-Lieder, die auf der dazugehörigen "Legende" vom russischen Dichter Sergeij Waschowitsch Pratajev fußen.
Ich schrieb bereits im vergangenen Jahr einen ausführlichen Bericht über eine Veranstaltung der RUSSIAN DOCTORS und ihren selbst erschaffenen Dichterhelden PRATAJEV. Wer mag kann da gerne noch mal nachlesen: THE RUSSIAN DOCTORS am 03.09.16 in Doberlug-Kirchhain
Hier wollen wir uns nun aber auf die Mugge in Weixdorf konzentrieren. Das ganze Event lief wohl unter dem Namen Wintergrillen. Nach der anscheinend sehr erfolgreichen Premiere im vergangenen Jahr wollte man auch heuer nicht auf dieses Spektakel verzichten. Im Preis inbegriffen waren ein Wodka zur Begrüßung, eine Schüsselchen Soljanka und ein Schaschlik mit Brot. Wenn das nicht zusammen passt - ein kalter und dunkler Winterabend auf dem Land, eine warme "Stube" mit feierwilligen Gästen, die russischen Gerichte Schaschlik und Soljanka, das edle, hochprozentige Wässerchen und THE RUSSIAN DOCTORS - dann weiß ich auch nicht. Übrigens hielten sich die Preise für die weiteren Getränke auch in einem sehr fanfreundlichen Rahmen. Als verantwortungsbewusster Motordroschkenlenker war ich äußerst dankbar, dass das ebenfalls für die "bleifreien" Trinkflüssigkeiten galt.
Auch wenn der etwas größere Raum irgendwie den Charme einer verlassenen Bahnhofshalle ausstrahlte, war der ganze Laden insgesamt nicht übel. Für solche kleineren Geschichten wie diese mit den RUSSIAN DOCTORs zum Wintergrillen war das bzw. ist das Waldbadhaus sogar bestens geeignet. Auch die Aufteilung mit großer Freifläche für das standhafte unmittelbar vor den Musikern und den Tischen mit Sitzplätzen im hinteren Bereich des Raumes fand ich gut.
Es mögen nach meiner vorsichtigen Schätzung ca. 70 oder 80 Leute im Waldbadhaus versammelt gewesen sein. Eben noch bewegten sich mitten unter ihnen die beiden Herren HOLGER "MAKARIOS" OLEY (den einige von uns sicher auch als Frontmann der Kultband DIE ART kennen) und FRANK BRÖKER.
Wenige Minuten später verwandelten sich beide in die Doktoren MAKARIOS und PICHELSTEIN. Sie starteten gleich mit dem Song "Wodka, Wodka" vom aktuellen Album "Manchmal wenn der Durst kommt". Bei diesem Opener war sicher auch dem letzten Gast klar, wo die feuchtfröhliche Reise nun hingehen würde: "Wodka, Wodka, glasklar und rein. Wodka, Wodka, so muss es sein. Wodka, Wodka, eiskalt und ölig. Wodka, Wodka Bulbasch ist König." Bei Bulbasch handelt es sich um eine Wodkamarke aus Weißrussland (oder wie der gepflegte Ostdeutsche einst sagte aus Bjelorussland) die der Tourmanager der RUSSIAN DOCTORS, Frank Förster, neuerdings vertreibt.
Alkoholika nehmen in der Liedersammlung der RUSSIAN DOCTORS einen nicht unbedeutenden Platz ein. Schließlich soll ja PRATAJEV auch ein ziemlicher Schluckspecht gewesen sein und das in seinen Gedichten auch entsprechend dargestellt haben.
Da braucht man sich auch nicht wundern, wenn man solche Liedzeilen hört wie im Lied "Die Heilung": "doch es gibt noch eine Rettung Schnaps mit Kräutern aus dem Wald. Wenn du früh genug damit beginnst, bleibst du jung und wirst nicht alt" oder "Das ist die Heilung von allen Gebrechen, das ist die Rettung vor jeglichem Leid. Das ist die Heilung und es wird sich rächen trinkst du nicht Schnaps von Zeit zu Zeit".
Gefallen hat mir in dieser Hinsicht auch die folgende Aussage aus dem neuen Song "Lied vom guten Leben", welche mir ebenfalls ein fettes grinsen ins Gesicht zauberte: "Es muss nicht sein, dass das Leben schlecht ist, weil schlechtes Leben nicht gerecht ist. Mit einem Schnaps hat man immer gute Karten, man muss nicht auf ein bess'res Leben warten".
Die Konzerte der RUSSIAN DOCTORS sind eigentlich eine Feier des ungezügelten, wilden Lebens mit all seinen Absonderlichkeiten, Merkwürdigkeiten, Ausschweifungen, Genüssen und Orgasmen. Man kann bei diesen humorvollen Darbietungen und melodisch-eingängigen Liedern ganz wunderbar den Alltag hinter sich lassen, Spaß haben, und feiern. Das geht auch ganz wunderbar ohne Alkohol, wenn man zum Beispiel, wie ich am vergangenen Freitag, sein eigener Kraftfahrer bei der Mugge ist. Wobei ich nicht verhehlen möchte, dass mir die Variante mit einem leichten Promillepegel sicher auch mal nicht schlecht bekommen würde.
Beindruckend an der ganzen PRATAJEV-Geschichte ist für mich auch, mit welcher Konsequenz, Originalität und Phantasie BRÖKER und MAKARIOS seit Jahren den PRATAJEV-Mythos immer weiter schmieden. Die Herren sind live, auf Tonträger und auch in Schriftform immer wieder für Überraschungen gut. Sie spielen das Spiel so liebenswürdig und überzeugend, dass man sich dem ganzen Zinnober nicht mehr entziehen kann und das auch gar nicht mehr möchte. Manchmal denke ich jetzt sogar schon selber in PRATAJEV-Kategorien.
Was das Doktoren-Duo in Weixdorf wieder musikalisch verzapfte, gibt es in keinem Russenkino (hätten wir früher verschämt gemurmelt) bzw. passte auch nicht in die üblichen Musikschubladen. Es war ein musikalischer und delikater Cocktail, der aus Hochgeschwindigkeitsfolk mit (Punk-)Rockeinschlag, aus Elementen der Liedermacherei mit Extrakten von russischen Volksweisen (oder dem, was wir uns darunter manchmal vorstellen) und ein paar Prisen Independent Rock oder Alternative Rock bestand. Manches glitt bei den RUSSIAN DOCTORS auch fast in den Bereich Gothikrock ab. Das ist aber alles gar nicht so wichtig.
Die Geschwindigkeit brachte Gitarrist DR. PICHELSTEIN in die ganze Geschichte. Der Typ schrammelte fast mit Lichtgeschwindigkeit auf den Saiten seiner Akustikgitarre. Da war es kein Wunder, dass ihm der Schweiß in Strömen den Körper herunterfloss. Trotz der Schnelligkeit waren die Melodie- und Songstrukturen deutlich zu erkennen. DR. MAKARIOS beförderte ihn in seinen Ansagen nach und nach vom Stadtbezirksmeister bis zum Olympiasieger und Weltrekord-Inhaber. Den derzeitigen Weltrekord verfehlte PICHELSTEIN aber diesmal um einen halben Schlag behauptete der Sangesbruder MAKARIOS frech.
MAKARIOS hauchte mit seiner rauen, unverkennbaren und dunklen Gesangsstimme den selbstgehäkelten Liedtexten ein eigenes und stimmiges Leben ein. Der Mann sang nicht nur bemerkenswert gut, sondern er führte auch das Wort zwischen den einzelnen Songs sehr souverän. Hier und da warfen Gitarrist und Sänger sich die Wortbälle gegenseitig zu. Auch das kam ihnen scheinbar leicht und flockig über die Lippen.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass die RUSSIAN DOCTORS ganz bewusst mit den in manchen Kreisen der Bevölkerung verwurzelten Vorurteilen und Bildern vom rückständigen, immer saufenden Russen spielen und uns so auch unauffällig den Spiegel vors Gesicht halten. Aber wir wollen jetzt mal nicht so tiefenphilosophisch übertreiben und bleiben mal beim den Liedern innewohnenden Spaßfaktor. Lieder wie „Gelber Fettfrosch“, „Auch die Ratte hat ein Herz“, „Tote Katzen im Wind“, Schlips aus Lurch“, „Der Kuh geht’s gut“ oder „Die Katz“ sprechen ihre eigene Sprache und die gehörten Texte bilden manchmal ganz von allein seltsame Bilder in unseren Denkapparaten.
Wenn MAKARIOS in „Rundblick vom Turm“ davon singt, dass PRATAJEV mit der Wodkaflasche Wache auf dem höchsten Bauwerk von Miloproschenskoje (dem Feuerwachtturm) hält, meint man neben ihm zu stehen und übers Land zu blicken. Beim „Loblied auf das Schwein“ denkt man unwillkürlich an die Schlachtfeste der Kinderzeit auf dem Dorf. Bei uns wurde früher ja auch geschlachtet. Da laufen ganze Filme mit solchen Bildern in meinem Kopf ab.
Manchmal ist der Humor der RUSSIAN DOCTORS sehr speziell und rabenschwarz. Mir fällt da besonders das Lied „Der Starke“ mit dem Refrain „und fällt ein Kind hinunter und bricht sich das Genick, dann tröstet er die Eltern und gibt das Kind zurück“. Übrigens gehört zu diesem Lied auch die Geschichte, dass PRATAJEV dieses Lied für den Karussellführer und Vorsitzenden der sibirischen Karussellführervereinigung geschrieben hätte. Da wundert es schon gar nicht mehr, dass auch PRATAJEV zeitweise Karussellführer gewesen sein soll.
Ob die RUSSIAN DOCTORS nun vom „Käferzähler“, von „Männern, die am Feldrand stehen“, von den „Veterinären aus Murmansk“ oder von anderen denkwürdigen Personen, Ereignissen sowie Krankheiten sangen, der Unterhaltungswert war hoch. Man kann sich bei so viel gut angelegten „Schwachsinn“ wirklich immer wieder kringeln.
DR. PICHELSTEIN trat auch ausführlich als Gesangssolist in Erscheinung. Er sang ein paar Lieder, die angeblich aus der Bauernoper „Lasst Dalmatov friedlich schlafen“ stammen sollen. ANATOLI PRUMSKI, der Weggefährte, Freund und Erlenholzgitarrist von PRATAJEV soll dieses bahnbrechende Kunstwerk nach dem Tod seines Freundes geschrieben haben. PICHELSTEIN-BRÖKER machte seine Sache so gut, dass sogar der Herr OHLEY lachen musste und seinem Gitarristen dann auch eifrig Beifall spendete.
THE RUSSIAN DOCTORS spielten noch eine ganze Reihe Lieder mehr und sie gaben dann auch noch ein paar Zugaben. Eines ihrer allerletzten Stücke hieß „Der Abend ist gelungen“ und das war er in meinen Augen auch. Was lernen wir noch aus diesem Konzert? Gutes muss nicht unbedingt teuer sein. Vielleicht überzeugt ihr euch davon mal selbst bei einer Doktoren-Mugge?
Gruß Kundi
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