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CD: PAUL BARTSCH & BAND - "Freund sein"
CD: PAUL BARTSCH & BAND - "Freund sein"
in CD-, DVD- und Buchveröffentlichungen 02.11.2016 19:06von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
Paul Bartsch – „Freund sein“, BC Records, 2016 (01.11.2016)
Die kleine Geschichte davor: Im Jahr 2014 gibt es unter der Regie des Gleimhaus in Halberstadt einen Literaturwettbewerb für Schüler. Das Thema der einzureichenden Arbeiten: Freund sein. In Anlehnung an das, wie Johann Wilhelm Ludwig Gleim in seiner Zeit es verstand, Freundschaftsbande zu knüpfen und diese Bande lebendig zu halten, waren die Jugendlichen aufgefordert, die Idee vom „befreundet sein“ aus ihrer Sicht in die eigene Lebensumwelt schriftlich zu übertragen. Es ist auch genau die Zeit, in der ein Neu-Halberstädter, aus Südbrandenburg kommend, gerade im Begriff ist, in der Domstadt noch einmal heimisch zu werden und hier vielleicht auch neue Freunde zu finden. Von der Ausstellung bei Gleim erfährt der Neuankömmling nur nebenbei und auch davon, wie Fäden durch einen Raum im Gleimhaus gezogen sind, um die Verbindungen von Gleim zu seinen vielen Freunden bildhaft werden zu lassen. Auch den Laudator, der gebeten wird, die geschriebenen Arbeiten zu würdigen, kennt er damals (noch) nicht. Dieser PAUL BARTSCH, der in Halberstadt zur Schule ging, spricht diese Laudatio und da er auch Liedermacher ist, schreibt er eigens dafür ein neues Lied: „Und willst Du mein Freund sein“, das er bei diesem Anlass vorträgt. Doch wie das so manchmal ist im Leben, der Abend und die Idee vom „befreundet sein“ lassen ihn nicht mehr los. Es entstehen neue Lieder im gleichen Kontext mit neuen und anderen Ideen vom „Freund sein“ in einer Zeit zwei Jahrhunderte nach Gleim.
In diesem Jahr nun, zwei Jahre nach der Ausstellung, hat der in Halle lebende Liedermacher PAUL BARTSCH mit „Freund sein“ diese neue CD veröffentlicht und möchte, dass die Lieder sich unter das Volk (ein)mischen, so wie die Fäden von Gleim sich zu dessen Freunden zogen, „denn Lieder wollen gesungen werden“, heißt es auch im Covertext. Aber nicht nur, möchte ich ergänzen! Lieder wollen auch bewegen, alte wie neue, und sie wollen verstanden sein. Die Lieder wollen erfreuen und trösten, wollen etwas erzählen und auf diese Weise vielleicht auch Erfahrungen weitergeben, gar im Idealfall zum Denken und Handeln anregen. Die vom „Freund sein“, so mein Fazit, können das sicher auch.
Ein paar gezupfte Saiten-Töne, eine Flöte und die Frage, „Wie ist es möglich, Mensch zu bleiben?“, so beginnt „Ermutigung III“. In Anlehnung an Renft’s „Ermutigung“ (1974) versucht die fast beschwingt daher kommende Melodie, einen Bogen über vier Dekaden zu schlagen. Mit anderen Worten treffen wir heute auf die gleiche Situation wie damals: „Manchmal fällt auf uns ein Frost und macht uns hart“, klang es damals. Ebenso entspannt und leichtfüßig, mit den Klängen einer Violine, schleicht sich „Vom Regen in die Traufe“ in unsere Ohren. Im Text die Botschaft von Menschlichkeit „weil das Schweigen Bände spricht“ und das Ganze in Moll gehalten. Und auch hier eine dezente Brücke zu einer Botschaft, dass „der Mensch den Menschen ehre“, die ja bekanntlich auch mit einem Moll-Akkord endet. Das ist ein raffinierter Einstieg für Hörer, die sich auskennen. Für alle, die damit nichts anfangen können, die jüngeren Hörer vielleicht, denen gibt er als Ratschlag eine „geballte Faust und offene Hand“ mit auf den Weg. Was für ein Bild, nach jenem mit der Rose und den Dornen, und was für eine Beschreibung der Wirren dieser Tage! Spätestens jetzt sollte der Hörer neugierig geworden sein, denn …
… mit „Freund sein“ kommt eine beswingte Hymne mit leicht irischen Untertönen „aus den „Rillen“. Im Refrain angenehm zweistimmig plus einem dezenten, aber sehr schönen Solo einer Slide Gitarre. Der Titelsong schiebt sich irgendwo zwischen Gundermann und Haase ein, ohne dass dies vordergründig beabsichtigt erscheint oder aufgesetzt wirkt. Es ist ein Gefühl, das vermittelt wird. Vom Leben erzählt uns der Sänger auch mit „Sisyphos“, einer feinen Folk-Blues-Ballade, deren Wirkung mit klagender Mundharmonika wirkungsvoll verfeinert wird. Auch diesmal taucht das Thema vom befreundet sein, in einem anderen Zusammenhang, wieder auf: „Jeden Morgen überkommt mich die Lust, weil ich ohne Dich nicht leben kann“. Und wieder empfinde ich dieses besondere Mitsing-Gefühl, das tief unter die Haut dringt und am besten unter Freunden und gemeinsam gesungen oder gehört werden möchte.
Und noch ein Blues, ein Boogie von der „Fahrerflucht“, eine schonungslose Gesellschaftsbeschreibung, wenn man genau hinzuhören versteht. Ein rauchiges Saxophon lässt sogar einen von Hauch dezenter heißer Lässigkeit einfließen, den MICHAREL LEHRMANN mit der Gitarre verfeinert. Dies ist ein Lied von den falschen Freunden, so könnte man „Die Stunde der Vereinfacher“ vielleicht auch begreifen. Die Spannung bezieht der Song aus einem marschierenden Rhythmus, über dem sich eine Zigeunerfiedel leichtfüßig mit ihrem Spiel hinweg setzt und im Klang letztlich allein und verspielt entschwindet. Ein Klang- und Gedankenbild, über das sich trefflich philosophieren lässt.
Müsste ich mich für einen Favoriten entscheiden, dann wäre dies „Doch nicht jeder“, weil das Lied mir mit jedem Ton, mit jedem Wort aus dem Herzen spricht und mich auch wieder daran erinnert, welche emotionalen Parallelen man zu anderen Künstlern entdecken kann. Einfach nur wunderschön und mit einem fluffigen Piano-Solo verziert. Die größte Wirkung aber erzielt es mit einem tollen Schluss: „Ich steig’ hier aus“ – Punkt. Das ist sehr rational gemacht, setzt aber ganz tiefe Emotionen und Gedanken frei. Einfach großartig.
Danach kann der Hörer das „Inselleben“ mit den Klangverzierungen einer Violine genießen und schöne Klangbilder erleben, die ihm die „Schere im Kopf“ vermittelt, in der auch Parallelen an einen singenden Baggerfahrer wach werden, der ebensolche Bilder, wie die von den „Seifenblasen, die man mit bloßen Händen fasst“, wenn man es mal probiert. Mit perlend leichtem Pianospiel, einer verspielt gezupften Gitarre und einfühlsamen Violinenspiel wird „Der Mensch ist im Grunde“ eindrucksvoll und mit einem optimistischen Unterton „gemalt“. Und dann noch so ein Ohrwurm, der mit einprägsamer Melodie und einem geilen Saxophon schnell den Weg in die Gehörgänge findet. Es ist „Vielleicht“, das die Tradition der Großen des Metiers (siehe oben) weiter spinnt. Kurz, knackig und große Klasse. Noch einer meiner Favoriten. Sehr einfühlsam singt BARTSCH sein „Hochzeitslied“, von den Wünschen und Sehnsüchten der Menschen, „denn es kann euch das nur quälen, was ihr nicht beim Namen nennt“. Das ist einfach nur wunderschön und einfühlsam mit Violine untermalt, irgendwie auch einem Kinderlied gleich.
Wenn man so etwas wie einen Höhepunkt sucht, dann sollte man vielleicht „Ballade vom Drachen im Wald“ auswählen, denn darin sind die Lebensgeschichten einer ganzen Generation komprimiert, die so unterschiedlich und doch irgendwie gleich verlaufen sind. Düstere Orgelklänge untermalen eine Story, die sich letztlich als lächerlich erweist, weil man die Angst nur mit Neugier auf die Wahrheit vertreiben kann. „Also auf in den Wald!“, (man hat 7:00 Minuten Zeit dafür). Die CD verabschiedet sich (offiziell) mit einem mitreißenden Gesang, in den man bei „In der Mitte des Flusses“ einsteigen kann, fließend leicht und verführerisch zugleich, auf den leichten Schwingen einer Violine dahin gleitend ….
… und dann gibt es da noch mit „Mensch mir gegenüber“ ein verstecktes Lied, das den Bogen zurück zum ersten Soloprogramm des Liedermachers schlägt und auf diese Weise das Thema vom „Freund sein“ über die Zeiten spannt, weil es immer und jeden Tag wichtig ist.
Stilvoll verpackt in die Andeutung des Spiels vom „Mensch ärgere dich nicht“ kommen diese 15 Lieder vom Menschen, seinen Freuden, Sehnsüchten, Ängsten und der Liebe ganz und gar zeitlos daher. Sie ergreifen den Zuhörer, zwingen zum Hinhören und sie laden ein, sich Gedanken zu machen. In Zeiten wie diesen, ist das auch mehr als notwenig und wichtig, weil wir so, wie seit Monaten, nicht einfach weitermachen dürfen. Wir sollten im 21. Jahrhundert endlich erkennen, dass wir dieses unser Leben nur gemeinsam meistern werden, im Miteinander. „Jeder Mensch kann jeden lieben“ sang einst ein anderer der Liedermacherzunft, in anderen Zeiten. Er tat dies zwar „mit der Angst vor dem Wald“ in seinem Hinterkopf, doch „Freund sein“ und seine Mitmenschen achten, also menschlich miteinander umgehen, ist nicht an bestimmte Zeiten gebunden und endet auch nicht an Ländergrenzen. Sich dem dumpfen Hass entgegen zu stellen, ebenso wenig. Vielleicht ist dieser PAUL BARTSCH ein singender Träumer, so wie Lennon schon sang „you may say I’m a dreamer, but I’m not the only one“. Doch wer niemals träumt, wird auch niemals selbst erfahren, wohin die Reise gehen könnte und sein Ziel wird er auch nie zu sehen bekommen. Dafür werden es die Ziele anderer sein und das ist, schaut Euch einfach mal um, meist nicht im Interesse der Mehrheit. Deshalb sind die eigenen Träume vom Mensch und „Freund sein“, wie eben diese 15 Lieder zeigen, so ungemein wichtig. Schön, dass es sie gibt!
www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
RE: CD: PAUL BARTSCH & BAND - "Freund sein"
in CD-, DVD- und Buchveröffentlichungen 03.11.2016 05:14von Kundi • | 3.250 Beiträge | 7335 Punkte
Herzlichen Dank für diese schöne Rezension, lieber Hartmut.
Die Scheibe werde ich mir demnächst zulegen. Deine Zeilen haben meine Vorfreude auf das Album noch gesteigert.
Am 20. Januar 2017 ist Paul übrigens endlich mal wieder in meiner Nähe zu erleben und zwar im CLUB PASSAGE, Dresden.
Ich freue mich riesig darauf.
Gruß Kundi
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