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JOHAN MEIJER - "Hautnah - Europeana" - Niderossi, 2016

in CD-, DVD- und Buchveröffentlichungen 09.10.2016 18:32
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Johan Meijer – „Hautnah (Europeana)“, Niederossi, 2016 01.06./01.10.2016

Es gibt (schon länger) ein neues Album von JOHAN MEIJER, dem singenden Holländer. Seit ein paar Tagen (im Juni) ist es bei mir und der Silberling dreht sich zum Anhören. Jeden Tag ein kleines Stück und jeden Tag etwas länger. Der Mann mit dem angenehmen weichen Akzent ist mehr als nur ein Liedermacher, der seine und die anderer, Lieder singt. Inzwischen weiß ich, Johan ist ein Suchender, ein (Nach)Forscher und all seine Lieder und Liedbearbeitungen laden seine Hörer ein, ihn auf der Suche, beim Forschen und dann auch beim Entdecken zu begleiten. Auf diese Weise ist mir JOHAN MEIJER auch begegnet und den Gundermann habe ich so noch einmal völlig neu für mich entdeckt („Honsdraf“). Nun also ein weiteres Werk, das es zu erkunden gilt. Gleich als Warnung vorweg; wer sich einzulassen bereit ist, der entdeckt mehr, als nur Lieder, sondern auch ein wenig vielleicht von der Welt und sich selbst. Kein leichter Weg für den Hörer, zugegeben, aber ein sehr interessanter, wenn man gewillt ist, Sichtweisen anderer zu teilen, sie sich vielleicht zu Eigen zu machen und die Hintergründe zu entdecken. In diesem Kontext, denke ich, hat er im Cover auch George Harrison’s „Any Road“ zitiert.

Schon mit dem ersten Lied des Albums macht uns der Holländer das Entdecken nicht gerade leicht. Die alte Melodie von „Drachtöters Vater“ hatte Gundermann mit einem neuen Inhalt, weil neuen Text, versehen. Das hat Gundi öfter mal getan, siehe „Nicaragua“ vom Kanadier Bruce Cockburn. In diesem Fall bediente sich Gundermann bei „The Bonny Moorhen“, einer alten Volksweise aus Schottland, die Gundermann durch Steeleye Span bekannt war, wie im Begleittext nachzulesen ist. Sucht man nun allerdings die Original-Vorlage, sollte man wissen, dass sie zwar für „Parcel Of Rouges“ (1973) aufgenommen, aber erst mit dem Doppelalbum „Original Masters“ (1977) veröffentlicht wurde. Hier findet man den Song und man spürt, wie gut JOHAN MEIJER dessen Stimmung aufgegriffen und jetzt für seine Gedanken „übersetzt“ hat, für die er eben Gundermann’s Text nutzt. Beinahe wie ein eigener Song von Meijer, in den er sich voll hineinknien und seine Persönlichkeit stecken kann. Von nun an sollte man hellhörig bleiben, denn dieses Erlebnis wird der Hörer auf der ganzen CD „Hautnah“ nun öfter auf der weiteren Reise durch die „Europeana“ haben. -

Normalerweise stelle ich bei einer Rezension jedes einzelne Lied aus meiner Wahrnehmung dem Leser vor. Nachdem ich dieses Album mehrmals hab’ durchlaufen lassen, damit sogar einen ganzen Sommer Zeit hatte, habe ich mich entschieden, es diesmal völlig anders zu machen. Ich werde keinen weiteren Song, bis eben auf diesen ersten, „Drachentöters Vater“ vorstellen, sondern darauf setzen, dass sich viele das Album erobern und daher entdecken wollen. Selbst!

Der Sommer ist schuld und das, was all die Medien über flüchtende Menschen nach Europa durch den bunten Blätterwald und über die grellen Mattscheiben gejagt haben. Mein kurzes Fazit: Das hätte man mit mehr Verantwortungsbewusstsein und viel mehr Fingerspitzengefühl völlig anders „präsentieren“ und vor allem erklären müssen! Noch immer sehe ich wie eine ungarische Journalistin (?) einem Vater mit Kind ihr Bein in den Weg stellt. Ich denke daran, dass es vor gar nicht langer Zeit auch Flüchtlinge gab, die von Ost nach West, über Stacheldraht oder eine Mauer. Damals wie heute Menschen. Warum also schürt man heute mit solchen und anderen Bildern bewusst den Hass und wundert sich dann, dass er munter wird!?

Und in eben dieser Zeit ist bei mir „Hautnah – Europeana“ zu hören gewesen. In diesen Tagen, seit denen ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass dieses EUROPA, so wie es von den Politikern gern beschworen wird, sich gerade aufzulösen beginnt. In genau diesen Zeiten hält ein Sänger den europäischen Gedanken mit seinen Lieder in den Gegenwind: Schaut her, wir alle sind dieses Europa, egal ob in „Kronstadt“ oder der „Insel im Roten Meer“ zu Hause. Sogar eine gemeinsame Währung haben wir, können reisen und uns frei verständigen. So können wir auch die Lieder dieses Albums verstehen, die ihre Ursprünge in Deutschland, in Ungarn, in Holland oder in der Ukraine, in Russland und Frankreich haben. JOHAN MEIJER hat sie von Reisen mitgebracht, bei einem seiner Freunde aufgeschnappt und manche der Melodien schon länger mit sich herumgetragen. Für dieses Album hat er sie neu bearbeitet und letztlich daraus etwas neues Ganzes entstehen lassen. Diese Lieder klingen und können Menschen verbinden, wenn sie hören. Es sind seine persönlichsten Lieder geworden, wie er selbst schreibt, und wer ihm schon einmal, so wie ich auch, persönlich begegnet ist, glaubt ihm diese Worte.

JOHAN singt davon, wie er, der Europäer, diese unsere Verbindungen empfindet und auch, wie er sie sich in der Zukunft vorstellt. Ein Europa der Menschen, ihrer Kulturen und Geschichte(n), wenn wir es wollen. Gundermann sollte man eben auch in den Niederlanden hören, so wie es Menschen hier gibt, die gern den Liedern von Jacques Brel lauschen. Ihnen allen baut JOHAN MEIJER eine musikalische Brücke der Verständigung. Des Kennenlernens wegen und auch, weil es ohne unser Miteinander gar nicht mehr gehen wird, denn wir leben inzwischen alle, auch dank vieler neuer Medien, so „Hautnah“ miteinander, wie noch niemals zuvor. Ob es Segen ist oder ein Fluch wird, das liegt allein in unseren Händen – und ein wenig auch in unser aller Ohren, weil das Zuhören wichtig geworden ist. Deshalb sind mir die Lieder der „Europeana“ nicht nur hautnah, sie gehen mir auch tief unter meine Haut. Ich liebe sie alle, die von Gundermann, Brel, JOHAN MEIJER, Richard Thompson, von Warkartschuk und von Tom Waits sowieso. Lasst Euch darauf ein, damit diese und andere Lieder uns verbinden. Ich glaube fest daran, dass die Mauer gefallen ist, damit wir zukünftig keine neuen Zäune bauen – nicht in Europa und auch nicht sonst irgendwo auf der Welt. Ich hab’ ihn nicht danach gefragt, aber ich denke mir, in diesem Sinne darf man die Lieder von „Europeana - Hautnah“ auch verstehen. Man kann es zumindest versuchen.

Angefügte Bilder:
Europeana 1.jpg

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