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ÈIST im Gleimhaus von Halberstadt

in Konzertberichte 2019 und älter 04.03.2016 19:00
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Zuhören mit Èist im Gleimhaus (02.03.2016)

Jetzt in einem kleinen Pup irgendwo in Irland sitzen, mit ein paar Leuten das dunkle Bier genießen, man quasselt miteinander und einer singt Lieder zur Fiddle und Gitarre. Das stelle ich mir gemütlich und gesellig zugleich vor. Für solch einen Abend wünschte ich mich manchmal dorthin und vielleicht mache ich das noch demnächst und reise zu den Inseln. Dann allerdings auf die schottischen Orkneys. Dort soll die Natur auch rau und urwüchsig schön sein, hat man mir von dort geschrieben. Doch für den Moment und diesen Abend sitze ich im Gleimhaus von Halberstadt und freue mich ich auf die drei Musikanten von ÈIST.

Die hatte ich vor fünf Jahren, im März 2011, im Club Passage von Dresden erlebt und war begeistert von dieser Art zu musizieren. Außerdem bin ich ein „alter“ Wacholder-Fan, dem die Augen glänzen, ähnlich wie bei einem Iren, wenn der an seine legendären Dubliners denkt. Für mich ist diese Musik wie ein Bindeglied zwischen den Kulturen, eine Möglichkeit, sich füreinander zu interessieren und zu verstehen. Wer gemeinsam singt und die gleichen Melodien im Herzen trägt, der fühlt über Grenzen hinweg und versucht, neugierig zu sein. Das habe ich von David, Elisabeth, Judy und einigen anderen lernen dürfen. Wenn ich bestimmte Lieder höre, wie die Melodien von „No Man’s Land“ (Eric Bogle) oder das alte „Fiddler’s Green“, um zwei Beispiel zu nennen, dann stellt sich dieses Gefühl ein.

Als der Bogen die Saiten der Fiddle streicht, aus den Pipes die Töne klingen und die Gitarrensaiten im Rhythmus schwingen, ist das Foyer des Gleimhauses mit Besuchern voll gestopft. Beinahe wie im Pup, nur dass hinter den Scheiben kein alter Whisky und Gläser, sondern die alten Bücher einer Bibliothek stehen, während ein Instrumentalstück, irgend etwas von den „Blue Hills“, meinen Ohren schmeichelt. Die Reise hat begonnen und meine Füße wippen mit im Takt. In der Melodie schwingen die Bilder von fernen Landschaften und stillen Sehnsüchten mit und JEREMY SPENCER, der Ire, MATTHIAS KIEßLING und der zweite Ire EOIN DUIGMAN werden uns die jeweiligen Geschichten dazu erzählen. Alte Sagen und Keltische Mythen, wie die von den tausend Schiffen vor der Küste, die EOIN DUIGMAN mit seinen Pipes als „Arrival Of The Fianna“ (2014) zum Klingen bringt. Ein zauberhaftes instrumentales Kleinod, das den Gedanken das Fliegen in die Weite lehrt.

Ein wenig spaßig, weil angeblich zwölf Strophen lang, mit jeweils viele Zeilen zu singen und außerdem würde er uns später wieder wecken wollen, so kündigt uns „Kies“ die Ballade vom „January Man“ an. Eine Melodie, vom Schotten Dave Goulder geschrieben und in vielen Versionen als Folk-Song bekannt geworden. KIEßLING hat der Melodie einen deutschen Text verpasst und dennoch klingt das Ergebnis sehr schottisch. Der weißhaarige Cottbuser scheint das Timbre der grünen Insel auf irgendeine Weise verinnerlicht zu haben. Die Stimmung verleitet wieder zum Träumen, doch nach einem Break erhöht der Rhythmus die Taktzahl, so dass wir unsere Füße bei den Jigs & Reals nicht still halten können.

Mich begeistert der „Man Of The West“, ein langsamer Walzer, der nach einer Modulation ebenfalls sehr viel rhythmischer wird. Die Geschichte von „Pillage & Plunder“ (O-Ton Kieß: keiner bleibt übrig) muss man ebenfalls live erlebt haben und was hinter der Geschichte vom „Gärtner mit dem Spaten“ steckt, sollte man sich ebenfalls bei einem Konzert von ÈIST persönlich erzählen und vorsingen lassen. Ich mag diese unterhaltsamen Wechsel von Storytelling & Songs, weil sie erst nachvollziehbar werden lassen, was fremde Lieder meinen könnten. So wie die Saga vom „Fiddler’s Green“, die ich liebe, weil sie ausdrückt, was man nur schwer in Worte zu fassen vermag. Als „Fiddler’s Green“ stellten sich die alten Seefahrer das Land ewiger Freude, mit viel Musik, Tanz, Rum und Tabak vor, zu dem die letzte Reise nach dem Leben führen würde. Dieser uralten Weise hat MATTHIAS KIEßLING deutsche Verse geschenkt. Egal, in welcher Konstellation er auf einer Bühne erscheint, dieses Lied zu singen, erwarten die meisten von ihm.

Oh Fiddler's Green is a place I've heard tell
Where fishermen go if they don't go to hell
Where the weather is fair and the dolphins do play
And the cold coast of Greenland is far far away


Die Zeilen, die er dafür fand, sind andere, klingen aber in unserer Sprache ebenso beeindruckend wie sie emotional berührend sind.

Später am Abend wird er mit ÈIST eine weitere alte Weise vortragen, für die MATTHIAS KIEßLING ebenfalls deutsche Worte fand. Die bissig-berührende Ballade „Wir haben im Feld gestanden“ ist zwar anders im Inhalt, geht aber mindestens ebenso unter die Haut. Sie thematisiert die tiefe Sehnsucht aller Menschheit nach Frieden und einem Leben ohne Krieg, ohne Ängste und Not. Solche Lieder zu schaffen, sie zu verwandeln oder manchmal auch einzudeutschen, das beherrscht dieser freundliche Typ aus Cottbus auf unnachahmliche Weise. Einfach großartig, wie er das macht und in Zeiten wie diesen, in denen Frieden fern ist und Kriege vor Grenzen keinen Respekt haben, wichtiger denn je!

Die drei Musiker von ÈIST harmonieren bestens miteinander und verstehen sich beinahe blind. Es ist für mich immer wieder faszinierend, wie vielfältig und ausdrucksstark sie die Lieder und Tanzstücke, die Jigs & Reals, zu einem fließenden Ganzen verschmelzen, obwohl „nur“ mit Fiddle, Pipes, Whistle und Gitarre musiziert wird. Die Harmonien und besondere Rhythmik eines jeden neuen Stückes oder Liedes offenbaren die Vielfalt und den Reiz einer anderen Kultur. Ein solches Kleinod ist „Reminiscing“ (Rückblick), das der irische Akkordeonspieler Martin O’Connor schrieb, uns aber EOIN DUIGMAN mit den Uilleann Pipes zu Gehör bringt. Zunächst klingt das Instrumentalstück fast lieblich und zart, ehe es im zweiten Teil als ein wilder Jig daher kommt und pure Lebenslust verbreitet. Kein Wunder also, wenn wir mehrmals am Abend zum Tanz aufgefordert werden, so wie es auf der grünen Insel völlig normal und typisch ist. JEREMY SPENCER kündigt ein weiteres dieser Tanzstücke an und lässt dann die Saiten seiner Fiddle beinahe glühen und ÈOIN DUIGMAN demonstriert bei „Marguerita Balls“ dass ein Dudelsack in Schottland auch mehrstimmig klingen kann.

Der Wolf: Beim Philosophieren über das Lied der Brandenburger von Rainald Grebe, gelangt „Kies“ wie selbstverständlich, vom bösen „menschenfressenden Wolf“ über „Isegrim’s Frühstück“ bis zu unserem „Bundes-Joachim“. Er landet bei den „heiligen Kriegen“, „die wir führen müssen“ und das alles gelingt ihm messerscharf, gar bitterböse und dennoch die Herzen berührend, wie aufbrausender Beifall zeigt. Und dann eben singt MATTHIAS KIEßLING mit berührender Stimme zu einer wunderschönen Melodie, wie bereits erwähnt, die bittere Ballade „Wir haben im Feld gestanden“. Wie er das macht, eindringlich und dezent, das ist große Klasse und leider auch so aktuell, dass einem die Luft wegbleiben und man Angst fühlen könnte! Solche Lieder und das, wie das eingangs erwähnte „No Man’s Land“, bräuchten wir aktuell viel mehr und diejenigen, die sie laut singen. Leider wird man in unserem Land für solche Lieder weder geehrt, noch gelangt man in die Medien. Ich bin mir sicher, in unserem Land läuft schon lange einiges aus dem Ruder und wenn es die Politik nicht tut, sollte wenigstens das Volks aufwachen!

Noch intensiver wird der Eindruck, als „Kies“ das von Màire Breatnach geschriebene „Eist“, nach dem sich die drei Musiker benannt haben, singt. Diese Art Lieder mag ich ganz besonders gern, weil sie mir gerade wegen ihrer fremden Schönheit emotional sehr nah kommen, in mir etwas bewegen, das ich nur schwer in Worte fassen kann. Manche dieser Melodien meint man, schon eine Ewigkeit zu kennen und die Geschichten, die sie erzählen, erzählt man in allen Völkern: Zwei Wesen aus einer fernen Welt möchten zueinander finden, schaffen es aber nicht. Immer wieder werden sie getrennt, wie Staub im Wind des Lebens, und werden erst dann vereint sein, wenn sie ihre Stimmen im Wind erkennen. Also lauschen sie in den Wind – „Èist“ (Hör zu). Kommt mir sehr bekannt vor.

Nach zwei intensiven Stunden, inklusive einer ausführlichen Erklärung der Uilleann Pipes und der Low Whistle, klingt der Abend der zauberhaften Melodien sowie der urwüchsigen Jigs & Reals aus. Viel zu schnell, wie einige meinen, und deshalb bekommt das Publikum als Zugaben den wilden „Hiper Piper“ und ein Stück „Newfoundland“ dazu. Für die Musiker hat jemand Wein und Halberstädter Würstchen, statt vergänglicher Blumensträuße, spendiert und wer wollte, konnte die Silberlinge mit der Musik der Künstler als Erinnerung erwerben. Inzwischen pfeifen es ja auch die Spatzen von den Dächern, dass wir in zwei Jahren ein Wacholder-Jubiläum feiern werden. Spätestens dann, aber wahrscheinlich schon viel eher, sehen wir uns wieder. Ich freue mich darauf.

Angefügte Bilder:
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www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
zuletzt bearbeitet 04.03.2016 19:01 | nach oben springen

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RE: ÈIST im Gleimhaus von Halberstadt

in Konzertberichte 2019 und älter 06.03.2016 19:56
von Holger | 259 Beiträge | 706 Punkte

Auch wir hatten am 01.03. in der Bunten Bühne Lübbenau das Vergnügen, EIST wieder einmal live zu erleben. Es war ein wunderschöner Abend mit sehr viel Zuschauerzuspruch. Es ist ja auch die Heimat von "KIES" KIESSLING und er macht meistens bei jeder EIST-Tournee Station in Lübbenau. Im Juni ist sind auch wieder einige Konzerte mit MAIRE BREATNACH geplant.

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