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PHYSICAL GRAFFITI - das Led Zeppelin-tribut im Kubik, Goslar

in Konzertberichte 2019 und älter 07.11.2015 18:51
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Physical Graffiti – Led Zeppelin im Wohnzimmer (06.11.2015)

Mir sind Cover-Bands suspekt. Eigentlich. Die meisten von ihnen rattern die alten Hits ihrer einstigen Helden von der Bühne runter und sind stolz darauf, es zu können. Wenn die Originale allerdings noch sehr lebendig selbst zu bewundern sind, kann ich mit einer lauen Kopie nicht viel anfangen. Dabei ist meine Generation mit dem Covern groß geworden. Von Theo Schumann, über Uve Schikora, Klaus Renft oder den legendären Sputniks. Alle haben sie mit dem Nachspielen angefangen, ehe sie eigene Lieder spielten. Inzwischen gibt es viele der Bands nicht mehr. Sie sind ausgestorben oder haben sich aufgelöst. Da erscheint es legitim, deren Shows und Melodien wieder auf die Bühne zu bringen. Mir ist ein geniales Konzert mit THE MUSICAL BOX in bester Erinnerung und eine weitere Show mit ECHOES ebenfalls. Die haben beide zu gleichen Teilen Musik, Zeitgeist und Atmosphäre eingefangen, das man sich genau so wieder gefühlt hat, wie damals. So ein ähnliches Erlebnis hatte ich auch vor fünf Jahren in Dresden bei einem meiner Besuche in der Tante Ju. Gestern war ich endlich wieder bei PHYSICAL GRAFFITI.

Goslar ist eine wunderschöne Stadt, keine Frage. Doch selbst bei Tageslicht ist es schwierig, mitten in der Stadt eine Parklücke zu finden. Am späten Abend kann das zu einem Glücksspiel werden. Es war uns hold, das Glück. Bis zum „Kubik“, einer Szene-Kneipe, Event- und Musik-Klub in einem, mitten in der Stadt, sind es wenige Schritte zu laufen, dann sind wir auf dem Hinterhof. Hier beginnt gerade das Nachtleben aktiv zu werden. Das „Kubik“ ist hier nur eine von mehreren Adressen und beginnt, sich zu füllen. Ein kuscheliger, enger und gemütlicher Laden, mit vielen kleinen Flächen und Podesten zum Wohlfühlen. Diese intimen „Lokäschens“ mag ich sehr. An so einem Ort sprach ich mit der Schwester vom Led Zeppelin Drummer, Deborah Bonham. Daran muss ich, in Erwartung eines Abends mit der Musik der Kultband Led Zeppelin, denken.

Zu vorgerückter Stunde wird es lebendig. Das in die Jahre gekommene Rock-Völkchen rückt vor dem kleinen Podest zusammen und dann kracht es, ohne lange zu fackeln, in den kubischen Raum hinein. Laut, brachial, ungekünstelt, aber authentisch brettert die Band uns „Good Times Bad Times“ um die Ohren. Mann, oh Mann, tut das gut! Mit voller Wucht donnern die Riffs der Gitarre im Einklang mit den Breaks aus dem Hintergrund und ein wuchtiger Bass drückt mir seine Figuren in den Bauch. Es ist, als würde beinahe das Original auferstehen, als dieser schlanke Typ, eine körperliche Blaupause von Robert Plant, seine Stimme in das Mikro presst, schreit und wimmert, der Vorlage sehr emotional nachempfunden. Diese Band lebt schon in den ersten Sekunden sich selbst und diese Urgewalt von Rock’n’Roll aus. Und damit ja niemand auf die Idee kommt, dies könnte ein Zufallstreffer gewesen sein, kracht schon der nächste Urschrei gegen die Wände: „Hey, hey, mama, said the way you move, gonna make you sweat, gonna make you groove.“ Wie aus dem Nichts ist der „Schwarze Hund“ von der Leine gelassen und jagt meine Gefühle durch den Raum. Ich bin mit der Musik eins, fühle mich ungemein wohl und spüre, wie diese heiße Melange aus einem früheren Jahrtausend meinen Bauch wohlig aufwühlt. Geil, würde jetzt mein Sohn sagen und genau so is’ es auch!

Auf dem kleinen Podest im „Kubik“ musizieren vier Ausnahmemusiker, jeder ein Könner und Profi in seinem Metier. An den Tasten vervollständigt mit dezenten Beiträgen zuweilen ein fünfter den Sound. Es ist vor allem die unbändige Stimme des Engländers ANDREW ELT, der sich ganz tief in die Vorlagen hinein fühlt, sie sichtbar auslebt und jede Nuance der Songs gestisch und hörbar authentisch werden lässt. Im Gespann mit dem Gitarristen DANIEL VERBERK, der wie ein cooles Double des Originals den Sound zur Stimme liefert, entsteht quasi das Duo Page & Plant live-haftig ein zweites Mal. Wenn beide sich in den Blues von „Since I’ve Been Loving You“ hinein wühlen, fühlt man plötzlich die unbändige Energie, die von dieser Musik einstmals live ausgegangen sein muss. Der stille irische Bassist DAVE HARROLD im Hintergrund formt dynamisch schwirrende Bass-Linien, auf deren Wogen die beiden an der Rampe ihre ganze Energie austoben können. Das kleine Zeppelin schwebt und stampft, getrieben von dem deutschen Drummer JAN GABRIEL, dessen Spiel ich bewundere. Die vier lassen „Dazed And Confused“ auferstehen und ich darf aus allernächster Nähe die brachialen Gitarrenkünste, bei denen natürlich auch ein Geigenbogen nicht fehlen darf, aus dieser Distanz bewundern. Es kracht gewaltig, es donnert und neben mir wiegt sich verzückt und selbstvergessen ein auch schon etwas „älterer Herr“ in den Grooves, die bei PHYSICAL GRAFFITI wie von selbst und lebendig im Spiel entstehen. Einfach nur Klasse!

Immer wieder einmal verlasse ich den Bereich direkt vor dem Podest, um von weiter hinten die Show als Gesamtheit und in ihrer voller Wirkung genießen zu können. Kaum zu glauben, dass dies sogar auf diesem minimalistischem Eckchen funktioniert, aber PHYSICAL GRAFFITI wissen um die Ausstrahlung der musikalischen Vorlagen und genießen es offensichtlich auch selbst, in diese genialen Stücke stets neu einzusteigen, ihnen nach so vielen Jahren Leben einzuhauchen. Sollte sich ein Uneingeweihter im Raum befinden, wird er wohl aus dem Staunen nicht herauskommen. Die alten Hasen stehen verzückt da, singen mitunter ganze Passagen bei „Stairway To Heaven“ mit oder saugen die groovenden Piano-Passagen von „Misty Mountain Hop“ genüsslich in sich auf, wiegen sich im Rhythmus und kleben bei den hohen Vokal-Passagen an ANDREW’s Lippen. Gitarre, Piano, Rhythmusgruppe und die Vokalisen des Engländers verschmelzen genau zu dem heißen Blues-Gebräu, das Led Zeppelin einst ausmachte und bis heute fasziniert. Als dann endlich die allen bekannten Akkordfolgen von „Stairway To Heaven“ erklingen, ist das kleine Kubik in Begeisterung getaucht. Der Abend befindet sich auf dem absoluten Höhepunkt.

Gemeinsam wird der Klassiker von Band und Publikum wie eine kleine Messe gefeiert. Langsam, wie bei einem göttlichen Orgasmus, steigert sich der Song, stöhnt ANDREW die Worte, bis er sie endlich laut und hemmungslos, nach einem furiosen Gitarrensolo, herausschreit, ehe sie ganz am Ende nur noch leise von allen Lippen im Raum gehaucht werden. Doch ehe irgend jemand noch zur Besinnung kommen könnte, folgen mit dem „Immigrant Song“ und dem „Heartbreaker“ zwei echte Kracher von besonderer Güte. Wer kann, versucht sich im Headbanging, Leute wie ich, werden von ihren eigenen alten Knochen auf magische Weise wie von selbst durchgerockt. Das ist die volle Dröhnung Rock’n’Roll aus allen Rohren, voll auf die Zwölf und in die Ohren. Der neben mir hüpft wie verrückt, stößt mich übermütig an, als wäre dies seine letzte Chance auf Ausgelassenheit und Lebensfreude. Ich fühle mich wie in einer Meute in die Jahre gekommener Easy Rider auf Klassenfahrt, die aus purer Begeisterung jeden ihrer Nachbarn mit in ihre eigene Euphorie einschließen möchten. Es ist genau dieses Gefühl, das Gemeinschaft ausdrückt, ohne davon plakativ nur zu reden – Rock’n’Roll aus allen Rohren – die ganze volle Breitseite Led Zeppelin. Hört ihr doch euren Clueso, ich will fetten Rock!

Doch es geht noch ein Level höher, als PHYSICAL GRAFFITI mit „Whole Lotta Love“ den Turbo zünden und das Zeppelin endgültig in die Höhe steigt. Und wieder spielt DANIEL den Jimmy, lässt seine sechs Saiten wimmern und den Modulator die Töne zerren und ziehen, bis auch ANDREW in diesen Sabbath von Blues’n’Heavy stimmlich einsteigt. Ich liebe diese frühen Sound-Collagen meiner Jugendjahre und genieße es, sie live in dieser explosiven Version hören zu dürfen. Genau deswegen bin ich hier, mir den restlichen Weichspüler vergangener Wochen aus den Ohren kratzen zu lassen. Als das geschafft ist, die Band sich verabschieden möchte, bin auch ich glücklich und zufrieden.

Aber nein, einer fehlt und einer geht noch! Ohne die Reise nach „Kashmir“, ohne die glühend heißen und wuchtig stampfenden Akkorde des Kult-Songs, aus eben diesem Doppelalbum, das der Band ihren Namen gab, würde hier etwas fehlen. Seine Magie bezieht der Song aus gegensätzlicher Rhythmik, die Gitarreakkorde, Piano und Bass als Dreiertakt einerseits erzeugen, während die Drums andererseits im normalen 4/4 Takt einfach nur durchspielen. Diese Reibung setzt spürbar Energie frei, die sich in dem darüber liegendem Gesang emotional entlädt. Ein Meisterstück aus dem Hause Page & Plant, das die Magie von Led Zep auf perfekte Weise in einem einzigen Song komprimiert. Ich könnte darin ein Bad nehmen, wäre ich dazu imstande. Ich genieße es stattdessen intensiv, versuche diese Energie in mich aufzutanken, denn mir war es nicht vergönnt, jemals das lebende Original zu erleben. Die Musiker von PHYSICAL GRAFFITI vermitteln mir aber einen Eindruck davon, was das, in meinen jüngeren Jahren, für eine Gefühl hätte sein können.

Als der abschließende „Rock’n’Roll“ erklingt, muss ich wieder an die Begegnung mit Deborah Bonham in Torgau denken. Die sang dieses Lied damals für weniger als zwei Duzend Leute und erzählte nach dem Konzert, an der Bar sitzend, ein wenig von ihrem Bruder John Bonham, mit dem sie in „The Old Hyde“ mit der Familie gelebt hat. Es sind solche Erinnerungen in Musik, die mich immer wieder neu aufladen und mir etwas Unbeschreibliches geben, was nur Rockmusik mir zu geben vermag – ein ganz besonderes Lebensgefühl, das auf wundersame Weise mein Leben stets neu bereichert. Thank you guys, thanks PHYSICAL GRAFFITI, tanks to Led Zeppelin.

Angefügte Bilder:
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www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
zuletzt bearbeitet 07.11.2015 18:53 | nach oben springen


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