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LIFT in der Feuerwache Magdeburg
LIFT in der Feuerwache Magdeburg
in Konzertberichte 2019 und älter 19.04.2015 19:55von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
LIFT in der Feuerwache Magdeburg
(18.04.2015)
Die Musik von LIFT ist für mich etwas sehr Besonderes und ich kann sogar genau sagen, seit wann das so ist. Im Jahre 1971 erschien bei Amiga eine DT64-Split-Single mit Electra. Auf der Rückseite ist ein Instrumentalstück mit dem damaligen (noch) Dresden-Septett zu hören. Dieses „Vo Thi Lin“ ist dem Album für die Jugend von Robert Schumann entlehnt und orientiert sich in seiner Bearbeitung an Procol Harum’s „Reepent Walpurgis“, dem das Prelude Nr. 1 in C-Dur von J.S. Bach zugrunde liegt. Obgleich Zachar für „Vo Thi Lin“ ein Schumann-Thema wählte, sind die Ähnlichkeiten so frappierend, dass sie gar nicht überhört werden können. Dennoch sind beide Stücke aber auch so unterschiedlich, dass man sich an den beiden Bearbeitungen ohne Abstriche erfreuen kann. Für mich war „Vo Thi Lin“, übrigens der Name eines vietnamesischen Mädchen, das von amerikanischen Napalmbomben entstellt wurde, der Beginn einer großen Leidenschaft für die Kapelle aus Dresden, die sich bis heute gehalten hat. Aus den Zeiten des Septetts ist heute keiner mehr dabei. Zachar und Pacholski starben bei einem Autounfall in Polen, Scheffler arbeitet als Komponist und versteht sich als musikalischer Freigeist, Till Patzer spielt seit zwanzig Jahren bei Jackpot und Heubach beschäftigt sich nur noch gelegentlich mit Musik. LIFT, mit Werther Lohse als zentrale Figur, versucht dennoch dieses große und einzigartige Erbe weiterzutragen.
Wie oft und ich welchen Besetzungen ich das Dresden-Sextett bzw. LIFT live gesehen habe, kann ich nur noch unvollständig nachvollziehen. Als Veranstalter hatte ich die Band 1977, noch mit Zachar und Pacholski, und 1981 nach dem Unfall, ohne die beiden aber mit Frank-Endrik Moll (dr) sowie Michael Ledig (bg), auf der Bühne. Besonders das 1977er Konzert wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Nach der Wende fiel es mir schwer, mich an die „kammermusikalische“ Variante mit Bodo Kommnik (git) und Ivonne Fechner (viol) zu gewöhnen. Mir fehlte die Wucht der beiden Keyboards sowie Saxophon und Flöte von Till. Erst nach und nach entdeckte ich den Reiz der Songs wieder, habe allerdings auch irgendwann neue Lieder der Band vermisst. Die Kreativität der Band schien zu schlafen und Routine schlich sich in die Set-List ein. Der Ausstieg von Gitarre und Violine im vergangenen Jahr war wohl nur folgerichtig oder nicht aufzuhalten. Die Zeiten und viele Musiker entwickeln sich weiter und oft auch unterschiedlich. So ist das Leben, nicht nur bei Musikern.
LIFT endlich wieder mit Tasten! Das war der frohe Teil der Nachricht und die machte mich neugierig. Die Band hatte sich selbst wohl doch noch nicht abgehakt. Mit diesen Erwartungen stehe ich nun vor der Bühne der alten Feuerwache in Magdeburg. Die ist in scharlachrotes Licht getaucht und im Dunkel der Bühne kann man in großen schwarzen Lettern LIFT lesen. Das ist neu und auch, dass zwei neue Bandmitglieder, gemeinsam mit den anderen, die Bühne betreten. Der Leipziger ANDRÈ JOLIG nimmt hinter den Manualen Platz und RENÈ DECKER, der exzellente Saxophonist, steht neben ihm vor einem zweiten Keyboard.
„Und es schuf der Mensch die Erde“ – willkommen in der LIFT-Klangwelt – endlich wieder! Im ersten Augenblick scheint es mir beinahe unwirklich, doch dann weiß ich, diese Band hat einen Riesenschritt gemacht, indem sich die Musiker wieder am originalen Sound der frühen Jahre festmachen. Wie lange habe ich diese Perle aus dem Fundus von LIFT schon nicht mehr live gehört toll! Dass ich das noch erleben darf!
Weitere Klassiker folgen: „Komm zurück“, „Falsche Schöne“ und sogar das „Liebeslied“. Plötzlich sitzt LOHSE auch wieder hinter der Schießbude, „weil ich Bock drauf habe“. Ich schwelge glücklich in den Erinnerungen, bin dennoch damit in der Gegenwart und genieße es, wie diese neue Besetzung auf der Bühne die alten Klassiker erklingen lässt. Beim „Liebeslied“ harmonieren Piano, Saxophon und Gesang beinahe inniglich miteinander und mit „Einmal fällt der erste Reif“ erlebe ich einen weiteren Klassiker, den einst der unvergessene Henry Pacholski zum Klingen brachte. Hier in der Feuerwache wird dieses rockige Stück durch ein Solo der Drums, PETER MICHEILOW, und Bass, JENS BRÜSSOW, geschickt in Szene gesetzt. Ich sehe in glänzende Augenpaare und glückliche Gesichter neben und hinter mir. Von dieser „neuen“ Band geht wieder echte Faszination und viel Wärme aus.
Meine Zweifel habe ich inzwischen längst über Bord geworfen. Endlich ist diese alte Set-List abgelegt, eingeschliffene Rituale ausgemerzt und endlich sind beinahe „vergessene“ Klassiker auch wieder im Programm. Besser kann man einen alten Fan gar nicht überraschen und vorerst habe ich auch (noch) keine neuen Wünsche. Ein sichtlich glücklicher WERTHER LOHSE lässt bei „Nach Hause“ eine Mundi schluchzen und die „Gelben Wiesen“ werden von einem wunderschönen Saxophon-Solo, geblasen von RENÈ DECKER, verziert. Als dann sogar aus dem Album „Meeresfahrt“ (1978) von einem Boogie-Piano getragen, „Wir fahrn übers Meer“ von der Bühne kommt, wogen die Körper im Saal wie Meereswellen im Rhythmus, den die Finger in die Tasten hämmern.
Natürlich wollen wir alle „Mein Herz soll ein Wasser sein“ und die Traumballade „Am Abend mancher Tage“ hören. Beide gehören einfach zum Standard und dass WERTHER den hohen Tönen ein wenig hinterher singt, kann man auch schlicht überhören. Da entdecke ich sogar eine neue Nuance bei mir selbst. Spätestens als auf dem Höhepunkt die „Tagesreise“, endlich wieder (!), aus den Arsenalen der Keyboards donnert, sind alle kleinen Wehwehchen hinweg gefegt. Ich finde endlich den Klang der alten Lieder auch in meinem Herzen wieder, bin zufrieden, glücklich und mit der Band im Reinen. Die (Tages)Reise geht ganz offensichtlich in den nächsten und übernächsten Tag.
In mir hat sich ein Riesenberg an Emotionen angestaut. Wie lange hat „Abendstunde (stille Stunde)“ schon nicht mehr so überwältigend live geklungen. Diese Akkordfolgen, in denen leichte Disharmonien aufgestaut werden, ehe sie sich auflösen dürfen, ist große Kunst in eine kleine Melodie für ewig und viele nach uns aufbewahrt. Auch „Wasser und Wein“, als Chorgesang wie ein Ritual gepflegt, gehört sicher dazu. Und dann traut sich WERTHER LOHSE gar, die „Sommernacht“ a capella vorzutragen. Die hohe zweite Stimme denke ich mir dazu und dann klingt dieses Kleinod wie eine Verheißung auf den kommenden schönen Sommer. Der Komponist Wolfgang Scheffler darf sich glücklich schätzen, seine Melodie wieder auf der Live-Bühne zu wissen und ich bin ein wenig fassungslos, diese geballte Ladung LIFT mit der Wucht der Tasten und dem Sound einer Kanne wieder genießen zu können. Manchmal schließt sich eine Tür und trennt zwei Räume. Eine andere öffnet sich und neue Räume bieten sich an. LIFT hat diese Chance sicht- und hörbar genutzt, wieder an frühe Traditionen anzudocken. Vielleicht, so meine leise Hoffnung, geht da noch einiges mehr. Es ist wieder spannend.
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