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KARSTEN TROYKE & WALFRIEDE SCHMITT in Halberstadt
KARSTEN TROYKE & WALFRIEDE SCHMITT in Halberstadt
in Konzertberichte 2019 und älter 17.09.2014 17:15von HH aus EE • | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte
Karsten Troyke & Walfriede Schmitt: "Dass ich nicht vergesse, Ihnen zu erzählen." (15.09.2014)
Ein fernes Vögelein hatte es mir in mein Ohr gezwitschert und gemeint: „Dass ich nicht vergesse, dir zu erzählen.“, dass da ein gewisser KARSTEN TROYKE mit seinen Liedern nahe meinem neuen Nest zu hören sei und eine WALFRIEDE SCHMITT Anekdoten und Witze zu erzählen wisse. Dem Vögelchen habe ich angeboten, es im neuen Nest zu empfangen und dann gemeinsam in den Rosenwinkel 18 zu flattern. Doch leider konnte das Vögelchen dann nicht zu mir kommen und so verließ ich mit einem anderen Vögelchen mein Nest, um den Rosenwinkel zu finden.
Die Nummer 18 hat sich hinter kleinen schrägen Fachwerkhäusern der Altstadt von Halberstadt, gleich hinter dem Domplatz, versteckt und ist leicht zu finden. Hier war ich schon einmal vorüber geflattert, hatte aber den stillen Winkel mit den engen Gassen nicht bemerkt. Einige heimische Vögelchen hatten sich auch schon eingestellt, denn die Kunde vom Geschehen, im Rahmen der interkulturellen Woche, hatte das Frauenzentrum „Lilith“ schon längst allen gezwitschert und doch wäre die Nachricht glatt an meinem Nest vorüber geflogen, hätte es das entfernte Vögelchen nicht schon gewusst.
Die Moses-Mendelssohn-Akademie befindet sich in einem schönen alten Bau, außen schön und innen wird daran noch gearbeitet. Hier, im ehemaligen Rabbinerseminar, ist ab 1995 eine Begegnungsstätte gewachsen und finden Veranstaltungen statt. Im Inneren gibt es noch viel zu tun, denke ich mir, denn was da zu sehen ist, braucht einen würdigen Rahmen für das Staunen, für das Miteinander und auch für das voneinander Lernen. Die hohe Decke über den luftigen Fenstern zum Beispiel, auf der schöne Ornamente nur blass hindurch schimmern, und die Wände auch. Von meinem Stuhl aus bestaune ich den Raum, der eine seltsame Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt und langsam wird mir bewusst, dass ich gerade jüdische Geschichte in mich aufsauge, während draußen, irgendwo in dieser Welt, der Hass sein böses Spiel mit ihr treibt.
Von TROYKE hatte ich schon gehört und die WALFRIEDE auf dem Schirm gesehen und dann betreten beide, von hinten kommend, den Raum, stehen leibhaftig vor mir. Eine leichte Verbeugung, ein paar Worte und dann singt TROYKE doch tatsächlich als erstes „Tanz mit mir die Liebe bis zum Schluss“, eines der schönsten sanfttraurigen Lieder von Leonard Cohen, der demnächst seinen 80. Geburtstag begehen wird. „Dance Me To The End Of Love“ als Hommage an den Meister der Lovesongs, da fühle ich mich behutsam mitgenommen, auch wenn mich WALFRIEDE SCHMNITT mit ihren nachfolgenden Gedanken zum Antisemitismus auch gleich wieder in die Realität zurück holt. Beinahe meine ich, auch mit einem JA antworten zu müssen, als sie einen Juden fragen lässt, ob es nicht noch „einen zweiten Globus“ zum Leben gäbe, wo wir doch eigentlich nur diesen einen vernünftig zu gestalten bräuchten.
So ähnlich ist auch die Stimmung in einem hebräischen Lied, das KARSTEN TROYKE mit seiner rauen, kratzigen Stimme singt: Will so gern ein Vöglein sein, das über alle Gärten fliegt ….. weiß noch nicht, wo es sich leben lässt.“ Die Melodie stammt wohl aus dem alten Persien, die Frage aber ist aktuell und berührt vieler Menschen Leben in Europa. Die beiden Künstler nehmen ihre Gäste mit Liedern, Texten und Anekdoten mit auf eine Reise durch die Geschichte und Kulturen. Die Akteure heißen Kaiser Franz Josef oder alte Jette, die Namen der Orte Maramesch oder einfach nur Cafè. Wir erfahren, wie man einen Hering zu essen hat und was ein Nachtwächter mit nur einem offenen Auge erspähen kann. Es gibt viel zu Lachen und eine Menge nachzudenken, wenn man genau zuhört und die Feinheiten bereit ist, zu erkennen.
Die beiden da vorn singen gemeinsam das wunderschöne „Donna, Donna“ und einige stimmen in den Gesang ein. WALFRIEDE erzählt uns von den „Waffen“ eines Lämmchens – Sanftmut, Hingebung und Geduld – und das weltberühmte „Tumbalalaika“ summen wir leise und etwas später wird bei „Hava Nagila“ mitgesungen. Es erstaunt mich, wie KARSTEN TROYKE den alten Melodien noch immer neue Nuancen abgewinnen, sie einfach und emotional interpretieren kann, ohne dabei in Klischees zu verfallen oder mit Effekten zu spielen. Der Mann lässt seine Stimme wirken, die er sparsam mit der Gitarre begleitet. Ebenso facettenreich ist die Sprache und das Mimenspiel der quirligen WALFRIEDE SCHMITT, die uns so manchen Lacher und Staunen beschert, als sie gar Marx bemüht, den sie erschreckend aktuell zum Thema Geld zu Worte bittet. Dieses „Dass ich nicht vergesse, Ihnen zu erzählen“, lässt sie sogar zwei Knastologen Philosophisches zum Thema beitragen: “Glaube ja nicht, dass du nicht sitzt, wenn du läufst!“ und der TROYKE setzt den Weg der Erkenntnis singend mit Georg Kreisler’s „Das war gut“ als Bänkel-Gesang fort.
Über zwei kurzweilige Stunden geht es mit SCHMITT & TROYKE kreuz und quer durch’s Leben, vom Lachen zum Nachdenklichen und beiweiten nicht immer nur um Juden, sondern eher um menschliches Denken, Tun und die Liebe. Wenn die rauchige Stimme „Leg den Kopf auf meine Knie“ singt, entsteht ein intimes Gefühl des Zusammenseins, das jeder für sich selbst interpretieren darf. Unheimlich nah kommt er mir mit einer a capella - Melodie, einst von einem 14jährigen Partisan erdacht. Die beiden berühren unsere Sinne mit spielerischer Leichtigkeit und lassen uns Lächeln, wenn ihre Figuren in den Texten und Melodien Weisheiten verkünden wie: „Die Welt lebt nicht, sie stirbt nicht, sie schleppt sich dahin.“ Das muss man erst einmal sacken lassen und dann nach Hause tragen.
Es ist später geworden, als ich anfangs gedacht hatte. Es war nicht die Zeit, die so schnell verging, es waren eher die Gedanken, die eine weite Reise unternehmen durften, während es draußen dunkelte. Dem entfernten Vögelchen hätte ich gewünscht, das feine Zwitschern und liebliche Trällern erleben zu können. Es muss nicht immer laut klingen, wenn man etwas verstehen möchte und mir fällt auf, dass ich mit meinem Wautsch eigentlich auch nur flüstere, weil er ein gutes Gehör hat und nach Abenden wie diesem wünschte ich mir, so mancher an den Schaltstellen der Macht, hätte auch Ohren wie mein Wautsch, um hinzuhören. Dann würde es sich lohnen, zu ihnen zu gehen und zu sagen: „Dass ich nicht vergesse, Ihnen zu erzählen …“
www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
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