In Erinnerung an einen Deutschen Lord
Wir hatten zwar einen Fernseher zu Hause, aber Westfernsehen war uns damals nicht möglich. Es gab aber Schulfreunde, die erzählten da von einer Sendung, in der man sonnabends Beatgruppen live erleben könne. Eine meiner frühesten Erinnerungen an den Beat-Club sind diese fünf Herren mit der Prinz-Eisenherz-Frisur und den schwarzen Anzügen mit Rüschenhemden. Die wirbelten zu Ihrer Musik die Beine wie beim Cancan. Nur, daß es eben kein Cancan war, sondern Beat aus deutschen Landen und die Nummer hieß „Poor Boy“.
Wer diese Zeit in den 60ern miterlebt hat, weiß, was ich meine. „Poor Boy“ war so etwas wie ein Gassenhauer, den jeder mitsingen konnte, auch wenn er den Text nicht verstand und die Melodie nie gehört hatte. Mal ganz davon abgesehen, dass wir dazu wunderbar „rumhotten“ konnten und wahrscheinlich ist in diesen Stunden auch die Luftgitarre erfunden worden – und zwar von uns allen.
Lord Ulli war der Sänger der LORDS und das Mikro konnte er immer so schön von einer Hand in die andere werfen. Auf diese Weise entstand der Eindruck, es würde vor dem Sänger in der Luft schweben.
Die LORDS haben all die Wirren, Modemätzchen und Schubläden des Business überstanden. Selbst Punk, New Wave und Neue Deutsche Welle konnten ihnen nichts anhaben. Sie überlebten Tiefschläge in Form eines Autounfalls und stilistische Wechsel von „Greensleeves“ über „And At Night“ bis hin zu „Stormy“, ihrer sicher besten ganzheitlichen LP-Einspielung von 1989 mit dem Puhdys-Cover „1992“ („Doch die Gitter schweigen“).
Im Juni 1996 habe ich die LORDS zum ersten und einzigen Mal live erlebt. Das war in Annaburg, anlässlich des jährlichen Heimatfestes des kleinen Städtchens. Der Veranstalter hatte die Band als Höhepunkt gebucht.
Als ich vor dem Konzert mit Freunden über den Schlosshof schlenderte, bemerkte ich die fünf Herren, die in ihrer „Bühnengarderobe“ quer über das Veranstaltungsgelände zielsicher in Richtung Bierstand liefen. Ich habe mich damals einfach daneben gestellt , Lord Ulli angesprochen und von meiner Jugend- und Pennezeit mit der Schul-Combo und der Musik der 60er erzählt. Gemeinsam haben wir unser Bier getrunken und über die „alten Zeiten“ geredet , während ich den Idolen meiner Jugendzeit in die vom Musikantenleben gestalteten Gesichter sehen konnte. Natürlich haben sie alle ihre Unterschriften auf das Cover einer meiner LORDS-LP’s geschrieben. Dieses Heiligtum hat seit Jahren einen besonderen Stellenwert in meiner Sammlung. Diese Selbstverständlichkeit, sich einfach unter das „Volk“ zu begeben, Kontakte zu ermöglichen und auch zuzulassen, sind die besonderen Höhepunkte eines Fanlebens. Leider erlebt man so etwas heute immer seltener.
Das Konzert war der Hammer! Ich fühlte mich in Beat-Club-Zeiten zurückversetzt und habe all die Gassenhauer und Rock’n’Roll-Klassiker („Gloryland“, „Have A Drink On Me“, „Shakin’ All Over“, „Poison Ivy“) mit einem Bier in der Hand mitgegröhlt. Lord Ulli sagte damals, daß die Band wohl bis zum Ende ihrer Tage auf der Bühne stehen werde. Am besten wäre es wohl, so Lord Ulli fast wörtlich, auf den Bühnenbrettern einfach umzufallen und das wär’s dann…………
Im Verlauf ihrer Tour „40 Jahre Lords“ spielte die Band drei Jahre später am 9. Oktober 1999 in Potsdam. Auf der Bühne erleidet Lord Ulli einen Schwächeanfall und stürzt so unglücklich auf die Bühne, dass er sich eine Schädelfraktur zuzieht. Am 13. Oktober verstirbt der Leader und Sänger der LORDS an deren Folgen im Potsdamer Krankenhaus. Es ist nahezu genau das eingetreten, was er öfter mal auf der Bühne ausgesprochen hatte…
Die LORDS gibt es immer noch! Die Band und ihre Musik bestehen jetzt fast 50 Jahre und nur die amerikanischen VENTURES sowie die englischen SHADOWS haben eine ähnlich lange Historie aufzuweisen.
Die Herren ZAMULO, BAUER, TERSTAPPEN & LIETZ scheren sich einen Dreck darum, was gerade irgendwo „angesagt“ oder „Mode“ ist. Sie machen ehrliche Musik, ohne Schnörkel und Mätzchen und sie sind noch immer dort , wo sie schon immer waren – auf den Bühnen des Landes. Nicht als ein Stück deutscher Beat- und Rockgeschichte, als lebende Rock-Fossile zum Bestaunen, sondern noch immer als Musiker und Kumpels. So hatte ich sie mir in meiner Jugend immer vorgestellt und so habe ich sie geliebt. Genau so erlebte ich sie in Annaburg und genau so werden sie bleiben, die LORDS …..“Que Sera, Sera“…..“Was sein wird, wird sein.“