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JORIS HERING BLUES BAND live im Kunsthof Gohlis

in Konzertberichte 2019 und älter 28.06.2014 18:26
von HH aus EE | 1.042 Beiträge | 2522 Punkte

Joris Hering Blues Band im Kunsthof Gohlis (27.06.2014)

Wenn man von jemandem sagt, „er hat den Blues“, dann meint man meist, dass er dieser ganz und gar uramerikanischen Spiel- und Gesangsweise der Schwarzen in den USA, die den Blues als ihre eigene Ausdruckmöglichkeit einer Lebensweise begreifen, dass er dieser Art zu musizieren sein ganz eigens Wahrnehmen und Empfinden zu geben vermag. Dann spielt er wie tausende den Blues und ist dennoch von ihnen durch seine individuelle Stilistik gut zu unterscheiden. Sicher ist das selten, zumal in jenen Gegenden, die traditionell nichts mit Amerika und Bluesmusik gemeinsam haben. Weder die Geschichte, und erst recht nicht die Sprache und dennoch gab und gibt es hierzulande, wo ich lebe, Musiker, die „den Blues haben“. Mit einigen von ihnen und deren Musik bin ich aufgewachsen, habe natürlich deren Platten gekauft, so sie welche machen durften, und habe sie live, schon vor vielen Jahr und auch heute, auf den Bühnen erlebt. Namen wie KERTH, PABST, BIEBL, SPEICHE, KUHLE, DIESTELMANN oder BODAG sind inzwischen schon fast Volksgut geworden, weil sie dem Blues ein deutsches Gesicht gaben und eine (ost)deutsche Stimme dazu. Einen vom anderen Oder/Neiße Ufer namens NALEPA zähle ich persönlich unbedingt dazu, auch wenn ich dessen polnische Sprache nie wirklich verstand. Aber sein Stil war der eines ganz Großen!

Ein jeder von ihnen spielte und spielt so universell, wie der Blues vielfältig und lebendig geblieben ist. Beim Lesen dieser Namen könnte man glattweg in die Versuchung geraten, dieses einzigartige Kapitel Blues als abgeschlossen zu betrachten, kommen sie doch alle aus einem Land jenseits der Zeit. Doch es gibt noch immer richtige Überraschungen, jedenfalls hat es sich für mich so angefühlt, und plötzlich entdeckt man neue Namen, die drauf und dran sind, diese wunderbare Geschichte aufzunehmen und neue Facetten hinzuzufügen. Wie beim Blues, wo plötzlich live eine neue Strophe entsteht und die Noten anders interpretiert werden. Auch das ist Blues.

Mir ist die JORIS HERING BLUES BAND durch einen wunderbaren Zufall, beinahe im wörtlichen Sinne, vor die Nase gehalten worden. Plötzlich lag eine CD auf meinem Schreibtisch und eine andere Art von Blues, die mich neugierig machte, erklang aus den Boxen: ruppig, rau, dynamisch. Nicht sofort, aber irgendwann später habe ich mich dann eingelassen. Nach dem Hören und Schreiben wusste ich, die Jungs der JHBB muss ich live erleben, denn Blues ist letztlich, wie jede andere Musik auch, erst dann richtig lebendig, wenn sie die Ohren ehrlich, ungefiltert und pur erreicht.

Nach langer Zeit endlich einmal wieder Kunsthof Gohlis. Wo ich jetzt sitze, hätten vor noch gar nicht so langer Zeit die Wellen der Elbe über meinem Kopf geplätschert. Von dieser Katastrophe ahnt man heute kaum noch etwas. Die hohen Topfpflanzen füllen den Hof aus, als wäre nichts geschehen und zwischen ihnen haben noch immer die Katzen ihre Ruheplätze. Doch hinter dem Haus erinnert eine kahle hohe Wand daran, dass hier einst der Blick auf den Fluss frei war, aber der Weg in die Häuser auch. Schön, dass es dieses kleine Kunstparadies zum Wohlfühlen und die beiden engagierten Macher in diesem Kleinod noch immer gibt.

Auch das Podium im Innenraum ist neu und dort vorn, vor einer noch kahlen Mauer, beginnt jetzt der Gitarrist und Sänger JORIS HERING, mit seinem Bruder am Bass und zwei Gästen am Schlagzeug und der Mundi, seine Bluesgeschichten zu erzählen. Trocken und ruppig ballern die Akkorde der Gitarre in den Raum, die flinken Finger tanzen über die Bünde und im Wechsel mit FLORIAN ESCHELOR und der Mundi entwickelt sich das dynamisch groovende Instrumentalstück „Fishtone Blues“. Noch wirkt der Blues vor der hellen Wand leicht unterkühlt, aber schon mit dem ersten eigenen Song „Wunderschön“ beginnt sich das zu ändern. Hier und da kommt Bewegung in Hände, die das Glas loslassen, und die Füße, die den Rhythmus wippend aufnehmen.

Hinter dem Schlagzeug hat TOBIAS RIDDER heute als zweiter Gast ein Heimspiel. Normalerweise bei Mike Seeber agierend, ist er heute gemeinsam mit THOMAS HERING am Bass als Rhythmussektion aktiv. Beide treiben, präzise wie das Laufwerk einer Uhr, die beiden Solisten an Gitarre und Harp zu abwechslungsreichen Soli an, die wir zum Beispiel bei „Texas Flood“, dem Titelsong von Stevie Ray Vaughans gleichnamigen Debut-Album (1983) bewundern können. Obwohl beide kaum Zeit hatten, sich für diesen Abend im Kunsthof Gohlis aufeinander einzustimmen, wirken sie, als würden sie schon lange miteinander musizieren. Die Gäste sind begeistert und lassen das auch mit ihrem Beifall spüren.

Die Musik von JORIS HERING hat, so glaube ich zu erkennen, zwei Komponenten, aus denen sie sich speist. So wie jeder andere in diesem Landesteil, hat auch der Gitarrist aus Berlin seine Vorbilder und die kann man anhand einiger ausgewählter Songs, die er spielt und die auch auf seiner aktuellen CD „Zwei Null Dreizehn“ zu finden sind, gut heraushören. Einer meiner Favoriten ist der „Folsom Prison Blues“ von Altmeister Johnny Cash. Wer sich ein wenig im Rock-Universum auskennt, darf sich live an einem Zitat von „Nashville Cats“ erfreuen, das John Sebastian einst mit den Lovin’ Spoonful zu einem Welthit machte. HERING stellt dieses kurze Zitat voran und nimmt dann mit seiner Gitarre Stimmung und Rhythmus auf, um daraus seine Version des Folsom Prison Blues“ zu stricken. Das ist sehr elegant und einfühlsam gemacht. Als er später am Abend den Blues-Standard „Sittin’ On The Top Of The World“, den die meisten wohl von Cream kennen, anspielt, erlebe ich das Spiel noch einmal, denn ich meine als Intro die Figur von „You Gotta Move“ zu erkennen. An solchen kleinen Nuancen habe ich meine Freude und genieße es dann, wie man aus solchen Zitaten und Ideen eine eigene Variante herausspielen kann.

Die andere Seite des Musikers sind natürlich seine eigenen Stücke, mit denen er uns hör- und fühlbar an seinem eigenen Leben und Erleben in deutscher Sprache teilhaben lässt. Sie heben sich wohltuend von dem deutschen „Liedgut“ ab, das man ansonsten aus dem Radio zu hören bekommt und genau das ist es, was der Musik der JORIS HERING BLUES BAND in unserer Zeit eine besondere Wertigkeit verleiht. Lieder wie „Regen“, bei dem man die Melancholie eines solchen trüben Tages nachfühlen kann oder auch „Wunderschön“ und „Puppe“, die uns nicht alltägliche Alltagsgeschichten erzählen, haben textlichen Tiefgang, bedienen sich einer teils deftigen Alltagssprache und werden musikalisch variantenreich als Blues-Geschichten umgesetzt. Ich sitze vor dem Podest und kann dem Gitarristen beim Spiel auf die flinken Finger sehen oder in seinem Gesicht den jeweiligen Ausdruck lesen. Ich kann erleben, wie daneben FLORIAN ESCHELOR auf ein Zeichen wartet, um dann mit seiner Mundi dem jeweiligen Song noch den letzten glänzenden Tupfer zu verleihen. Der lässt sein Instrument wimmern und klagen, lässt es ächzen, stöhnen oder auch jubeln, dass es eine Freude ist, ihm und dem Zusammenspiel der ganzen Band zu lauschen. Mit ihm und seiner Harp hat die Band an diesem Abend einen Glückgriff gemacht, denn durch sein intensives und feinfühliges Spiel hat der schlanke Musiker, oftmals in sich selbst versunken, dem Sound der JHBB eine ganz besondere Nuance verpasst.

Versunken in dem Hering’schen Blues bin ich ganz erstaunt, als mit dem „Hoochie Coochie Man“ von Willie Dixon schon das Ende des Abend eingebluest und gerockt wird. JORIS HERING demonstriert noch einmal eindrucksvoll sein temperamentvolles Spiel, noch einmal zaubern die Finger ein heißes Soli zwischen die Bünde und dann jubelt es in der Hütte, als wäre sie bis unter das Dach mit Gästen voll gestopft. Vom Tresen kommt ein Zeichen und daraufhin ein letztes und eigenes Lied der Band. Noch einmal bekommen wir deftige Blues-Kost zu hören, denn mit „Feierabend (ich befrei’ mich vom Dreck)“ greift der Mann mit seiner Band noch einmal tief in die eigene Kiste und lässt die Gefühle des einfachen Mannes zu einem hinreißendem Lied werden. Noch einmal greift sich FLORIAN ESCHELOR eine Mundi und dann klingt im Sound die Leere, das „ausgepumpt sein“ eines langen Arbeitstages aus dem kalten Nachhall seines Solos heraus. Das ist einfach, aber ungemein wirksam live umgesetzt und deshalb ein würdiger Abschluss.

Natürlich lebt der Abend, und mit ihm der Blues, von dem Mann, der seiner Band den Namen gibt. Es ist wie bei Kerth & Co., deren Musiker kongenial den unterstützen, der als Seele und Motor in Einem, mit seinen Freunden und Gästen den Blues lebendig bleiben lässt. JORIS HERING macht das mit der gleichen Intensität und Ehrlichkeit, in der Leute wie ich mit Herzblut und Begeisterung vor die Bühnen ziehen, um etwas Besonderes zu erleben und sich dort auch selbst bestätigt finden wollen. Es sind, neben den Klassikern im Set, seine eigenen Songs, in denen man aufgrund der deutschen Sprache das eigene Wahrnehmen, das hastige Leben um uns herum, nachvollziehen und auf seine Tauglichkeit prüfen kann. Das ist es auch, was mir Vergnügen bereitet und immer wieder, so auch an diesem Abend, erwische ich mich dabei, wie ich mich einfach von diesen Emotionen in „meiner Musik“ treiben lasse. Genau diese Momentaufnahmen, die Musiker und Band, einer Zeitlupe gleich, der Alltagshektik entreißen, machen die JORIS HERING BLUES BAND letztlich zu einer jener Kapellen, die die typische Geschichte vom Blues zwischen Fichtelberg und Ostseestrand weiter schreiben werden. Da bin ich ganz optimistisch. Nur den „Mann von Nebenan“ habe ich vermisst, aber ich habe auch vor lauter Begeisterung vergessen, danach zu fragen oder um ihn zu bitten. Ein Grund mehr, die JHBB bei einer passenden späteren Gelegenheit wieder einen Besuch abzustatten.

Weitere Fotos sind hier zu sehen: http://www.mein-lebensgefuehl-rockmusik....Band%20im%20KHG

Angefügte Bilder:
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www.mein-lebensgefuehl-rockmusik.de
zuletzt bearbeitet 28.06.2014 18:29 | nach oben springen

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RE: JORIS HERING BLUES BAND live im Kunsthof Gohlis

in Konzertberichte 2019 und älter 29.06.2014 08:22
von PMausM | 1.820 Beiträge | 3861 Punkte

Freu mich auch über die Bilder, die zeigen, dass der Kunsthof wieder die Kunstoase geworden ist, wie vor der Flut.

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